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wahrscheinlich niemand mehr und jemanden, mit dem sie im Dorf verkehrt
haben, ganz besonders nicht, mögen sie es auch im Stall hundertmal
beschworen haben, daß sie sich auf ein Wiedersehen im Schloß sehr freuen.
Ich habe es ja übrigens auch schon erfahren, wie wenig allen solche
Versprechungen bedeuten. Aber das Wichtigste ist das ja gar nicht. Nicht nur
durch die Diener selbst habe ich eine Verbindung mit dem Schloß, sondern
vielleicht und hoffentlich auch noch so, daß jemand, der von oben mich und
was ich tue beobachtet – und die Verwaltung der großen Dienerschaft ist
freilich ein äußerst wichtiger und sorgenvoller Teil der behördlichen Arbeit -,
daß dann derjenige, der mich so beobachtet, vielleicht zu einem milderen
Urteil über mich kommt als andere, daß er vielleicht erkennt, daß ich in einer
jämmerlichen Art zwar, doch auch für unsere Familie kämpfe und die
Bemühungen des Vaters fortsetze. Wenn man es so ansieht, vielleicht wird
man es mir dann auch verzeihen, daß ich von den Dienern Geld annehme und
für unsere Familie verwende. Und noch anderes habe ich erreicht, das
allerdings machst auch du zu meiner Schuld. Ich habe von den Knechten
manches darüber erfahren, wie man auf Umwegen, ohne das schwierige und
jahrelang dauernde öffentliche Aufnahmeverfahren in die Schloßdienste
kommen kann, man ist dann zwar auch nicht öffentlicher Angestellter,
sondern nur ein heimlich und halb Zugelassener, man hat weder Rechte noch
Pflichten, daß man keine Pflichten hat, das ist das Schlimmere, aber eines hat
man, da man doch in der Nähe bei allem ist: Man kann günstige
Gelegenheiten erkennen und benützen, man ist kein Angestellter, aber zufällig
kann sich irgendeine Arbeit finden, ein Angestellter ist gerade nicht bei der
Hand, ein Zuruf, man eilt herbei, und was man vor einem Augenblick noch
nicht war, man ist es geworden, ist Angestellter. Allerdings, wann findet sich
eine solche Gelegenheit? Manchmal gleich, kaum ist man hineingekommen,
kaum hat man sich umgesehen, ist die Gelegenheit schon da, es hat nicht
einmal jeder die Geistesgegenwart, sie so, als Neuling, gleich zu fassen, aber
ein anderes Mal dauert es wieder mehr Jahre als das öffentliche
Aufnahmeverfahren, und regelrecht öffentlich aufgenommen kann ein solcher
Halbzugelassener gar nicht mehr werden. Bedenken sind hier also genug; sie
schweigen aber dem gegenüber, daß bei der öffentlichen Aufnahme sehr
peinlich ausgewählt wird und ein Mitglied einer irgendwie anrüchigen
Familie von vornherein verworfen ist, ein solcher unterzieht sich zum
Beispiel diesem Verfahren, zittert jahrelang wegen des Ergebnisses, von allen
Seiten fragt man ihn erstaunt, seit dem ersten Tag, wie er etwas derartig
Aussichtsloses wagen konnte, er hofft aber doch, wie könnte er sonst leben;
aber nach vielen Jahren, vielleicht als Greis, erfährt er die Ablehnung, erfährt,
daß alles verloren ist und sein Leben vergeblich war. Auch hier gibt es freilich
Ausnahmen, darum wird man eben so leicht verlockt. Es kommt vor, daß
gerade anrüchige Leute schließlich aufgenommen werden, es gibt Beamte,
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik