Seite - 196 - in Das Schloss
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essen zu bringen, weil er schon seit Mittag nichts gegessen habe. Frieda,
offenbar auch durch die Bitte erleichtert, nickte und lief, etwas zu holen, nicht
den Gang weiter, wo K. die Küche vermutete, sondern seitlich, ein paar
Stufen abwärts. Sie brachte bald einen Teller mit Aufschnitt und eine Flasche
Wein, aber es waren wohl nur schon die Reste einer Mahlzeit: Flüchtig waren
die einzelnen Stücke neu ausgebreitet, um es unkenntlich zu machen, sogar
Wurstschalen waren dort vergessen und die Flasche war zu drei Vierteln
geleert. Doch sagte K. nichts darüber und machte sich mit gutem Appetit ans
Essen. »Du warst in der Küche?« fragte er. »Nein, in meinem Zimmer«, sagte
sie, »ich habe hier unten ein Zimmer.« – »Hättest du mich doch
mitgenommen«, sagte K. »Ich werde hinuntergehen, um mich zum Essen ein
wenig zu setzen.« – »Ich werde dir einen Sessel bringen«, sagte Frieda und
war schon auf dem Weg. »Danke«, sagte K. und hielt sie zurück, »ich werde
weder hinuntergehen, noch brauche ich mehr einen Sessel.« Frieda ertrug
trotzig seinen Griff, hatte den Kopf tief geneigt und biß auf die Lippen. »Nun
ja, er ist unten«, sagte sie. »Hast du es anders erwartet? Er liegt in meinem
Bett, er hat sich draußen verkühlt, er fröstelt, er hat kaum gegessen. Im
Grunde ist alles deine Schuld; hättest du die Gehilfen nicht verjagt und wärst
jenen Leuten nicht nachgelaufen, wir könnten jetzt friedlich in der Schule
sitzen. Nur du hast unser Glück zerstört. Glaubst du, daß Jeremias, solange er
im Dienst war, es gewagt hätte, mich zu entführen? Dann verkennst du die
hiesige Ordnung ganz und gar. Er wollte zu mir, er hat sich gequält, er hat auf
mich gelauert, das war aber nur ein Spiel, so wie ein hungriger Hund spielt
und es doch nicht wagt, auf den Tisch zu springen. Und ebenso ich. Es zog
mich zu ihm, er ist mein Spielkamerad aus der Kinderzeit – wir spielten
miteinander auf dem Abhang des Schloßberges, schöne Zeiten, du hast mich
niemals nach meiner Vergangenheit gefragt. – Doch das alles war nicht
entscheidend, solange Jeremias durch den Dienst gehalten war, denn ich
kannte ja meine Pflicht als deine zukünftige Frau. Dann aber vertriebst du die
Gehilfen und rühmtest dich noch dessen, als hättest du damit etwas für mich
getan; nun, in einem gewissen Sinne ist es wahr. Bei Artur gelang deine
Absicht, allerdings nur vorläufig, er ist zart, er hat nicht die keine
Schwierigkeit fürchtende Leidenschaft des Jeremias, auch hast du ihn ja durch
den Faustschlag in der Nacht – jener Schlag war auch gegen unser Glück
geführt – nahezu zerstört, er flüchtete ins Schloß, um zu klagen, und wenn er
auch bald wiederkommen wird, immerhin, er ist jetzt fort. Jeremias aber
blieb. Im Dienst fürchtet er ein Augenzucken des Herrn, außerhalb des
Dienstes aber fürchtet er nichts. Er kam und nahm mich; von dir verlassen,
von ihm, dem alten Freund, beherrscht, konnte ich mich nicht halten. Ich habe
das Schultor nicht aufgesperrt, er zerschlug das Fenster und zog mich hinaus.
Wir flohen hierher, der Wirt achtet ihn, auch kann den Gästen nichts
willkommener sein, als einen solchen Zimmerkellner zu haben, so wurden wir
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik