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allmählich schon bekommen, man taumelt, man kann sich nicht
zurechtfinden, und wenn ich auch bereit war, dich immer aufzunehmen, so
war ich doch nicht immer zugegen, und wenn ich zugegen war, hielten dich
manchmal deine Träumereien fest oder noch Lebendigeres, wie etwa die
Wirtin; kurz, es gab Zeiten, wo du von mir wegsahst, dich irgendwohin ins
Halbunbestimmte sehntest, armes Kind, und es mußten nur in solchen
Zwischenzeiten in der Richtung deines Blicks passende Leute aufgestellt
werden, und du warst an sie verloren, erlagst der Täuschung, daß das, was nur
Augenblicke waren, Gespenster, alte Erinnerungen, im Grunde vergangenes
und immer mehr vergehendes einstmaliges Leben, daß dieses noch dein
wirkliches jetziges Leben sei. Ein Irrtum, Frieda, nichts als die letzte, richtig
angesehen, verächtliche Schwierigkeit unserer endlichen Vereinigung.
Komme zu dir, fasse dich; wenn du auch dachtest, daß die Gehilfen von
Klamm geschickt sind – es ist gar nicht wahr, sie kommen von Galater -, und
wenn sie dich auch mit Hilfe dieser Täuschung so bezaubern konnten, daß du
selbst in ihrem Schmutz und ihrer Unzucht Spuren von Klamm zu finden
meintest – so, wie jemand in einem Misthaufen einen einst verlorenen
Edelstein zu sehen glaubt, während er ihn in Wirklichkeit dort gar nicht
finden könnte, selbst wenn er dort wirklich wäre -, so sind es doch nur
Burschen von der Art der Knechte im Stall, nur daß sie nicht ihre Gesundheit
haben, ein wenig frische Luft sie krank macht und aufs Bett wirft, das sie sich
allerdings mit knechtischer Pfiffigkeit auszusuchen verstehen.« Frieda hatte
ihren Kopf an K.s Schulter gelehnt, die Arme umeinandergeschlungen,
gingen sie schweigend auf und ab. »Wären wir doch«, sagte Frieda langsam,
ruhig, fast behaglich, so, als wisse sie, daß ihr nur eine ganz kleine Frist der
Ruhe an K.s Schulter gewährt sei, diese aber wolle sie bis zum Letzten
genießen, »wären wir doch gleich noch in jener Nacht ausgewandert, wir
könnten irgendwo in Sicherheit sein, immer beisammen, deine Hand immer
nahe genug, sie zu fassen; wie brauche ich deine Nähe; wie bin ich, seit ich
dich kenne, ohne deine Nähe verlassen; deine Nähe ist, glaube mir, der
einzige Traum, den ich träume, keinen anderen.« Da rief es in dem
Seitengang, es war Jeremias, er stand dort auf der untersten Stufe, er war nur
im Hemd, hatte aber ein Umhängetuch Friedas um sich geschlagen. Wie er
dort stand, das Haar zerrauft, den dünnen Bart wie verregnet, die Augen
mühsam, bittend und vorwurfsvoll aufgerissen, die dunklen Wangen gerötet,
aber wie aus allzu lockerem Fleisch bestehend, die nackten Beine zitternd vor
Kälte, so daß die langen Fransen des Tuches mitzitterten, war er wie ein aus
dem Spital entflohener Kranker, demgegenüber man an nichts anderes denken
durfte, als ihn wieder ins Bett zurückzubringen. So faßte es auch Frieda auf,
entzog sich K. und war gleich unten bei ihm. Ihre Nähe, die sorgsame Art, mit
der sie das Tuch fester um ihn zog, die Eile, mit der sie ihn gleich zurück ins
Zimmer drängen wollte, schien ihn schon ein wenig kräftiger zu machen; es
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik