Seite - 202 - in Das Schloss
Bild der Seite - 202 -
Text der Seite - 202 -
ausgefüllt, auf dem Nachttischchen brannte die elektrische Lampe, neben ihr
war eine Reisehandtasche. Im Bett, aber ganz unter der Decke verborgen,
bewegte sich jemand unruhig und flüsterte durch einen Spalt zwischen Decke
und Bettuch: »Wer ist es?« Nun konnte K. nicht ohne weiteres mehr fort,
unzufrieden betrachtete er das üppige, aber leider nicht leere Bett, erinnerte
sich dann an die Frage und nannte seinen Namen. Das schien eine gute
Wirkung zu haben, der Mann im Bett zog ein wenig die Decke vom Gesicht,
aber ängstlich bereit, sich gleich wieder ganz zu bedecken, wenn draußen
etwas nicht stimmen sollte. Dann aber schlug er die Decke ohne Bedenken
zurück und setzte sich aufrecht. Erlanger war es gewiß nicht. Es war ein
kleiner, wohl aussehender Herr, dessen Gesicht dadurch einen gewissen
Widerspruch in sich trug, daß die Wangen kindlich rund, die Augen kindlich
fröhlich waren, daß aber die hohe Stirn, die spitze Nase, der schmale Mund,
dessen Lippen kaum zusammenhalten wollten, das sich fast verflüchtigende
Kinn gar nicht kindlich waren, sondern überlegenes Denken verrieten. Es war
wohl die Zufriedenheit damit, die Zufriedenheit mit sich selbst, die ihm einen
starken Rest gesunder Kindlichkeit bewahrt hatte. »Kennen Sie Friedrich?«
fragte er. K. verneinte. »Aber er kennt Sie«, sagte der Herr lächelnd. K.
nickte; an Leuten, die ihn kannten, fehlte es nicht, das war sogar eines der
Haupthindernisse auf seinem Wege. »Ich bin sein Sekretär«, sagte der Herr,
»mein Name ist Bürgel.« »Entschuldigen Sie«, sagte K. und langte nach der
Klinke, »ich habe leider Ihre Tür mit einer anderen verwechselt. Ich bin
nämlich zu Sekretär Erlanger berufen.« – »Wie schade«, sagte Bürgel. »Nicht
daß Sie anderswohin berufen sind, sondern daß Sie die Türen verwechselt
haben. Ich schlafe nämlich, einmal geweckt, ganz gewiß nicht wieder ein.
Nun, das muß Sie aber nicht gar so betrüben, das ist mein persönliches
Unglück. Warum sind auch die Türen hier unversperrbar, nicht? Das hat
freilich seinen Grund. Weil nach einem alten Spruch die Türen der Sekretäre
immer offen sein sollen. Aber so wörtlich müßte auch das allerdings nicht
genommen werden.« Bürgel sah K. fragend und fröhlich an, im Gegensatz zu
seiner Klage schien er recht wohl ausgeruht; so müde, wie K. jetzt, war
Bürgel wohl noch überhaupt nie gewesen. »Wohin wollen Sie denn jetzt
gehen?« fragte Bürgel. »Es ist vier Uhr. Jeden, zu dem Sie gehen wollten,
müßten Sie wecken, nicht jeder ist an Störungen so gewöhnt wie ich, nicht
jeder wird es so geduldig hinnehmen, die Sekretäre sind ein nervöses Volk.
Bleiben Sie also ein Weilchen. Gegen fünf Uhr beginnt man hier aufzustehen,
dann werden Sie am besten Ihrer Vorladung entsprechen können. Lassen Sie,
bitte, also endlich die Klinke los und setzen Sie sich irgendwohin, der Platz ist
hier freilich beengt, am besten wird es sein, wenn Sie sich hier auf den
Bettrand setzen. Sie wundern sich, daß ich weder Sessel noch Tisch hier
habe? Nun, ich hatte die Wahl, entweder eine vollständige Zimmereinrichtung
mit einem schmalen Hotelbett zu bekommen oder dieses große Bett und sonst
202
zurück zum
Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik