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nichts als den Waschtisch. Ich habe das große Bett gewählt, in einem
Schlafzimmer ist doch wohl das Bett die Hauptsache! Ach, wer sich
ausstrecken und gut schlafen könnte, dieses Bett müßte für einen guten
Schläfer wahrhaft köstlich sein. Aber auch mir, der ich immerfort müde bin,
ohne schlafen zu können, tut es wohl, ich verbringe darin einen großen Teil
des Tages, erledige darin alle Korrespondenzen, führe hier die
Parteieinvernahmen aus. Es geht recht gut. Die Parteien haben allerdings
keinen Platz zum Sitzen, aber das verschmerzen sie, es ist doch auch für sie
angenehmer, wenn sie stehen und der Protokollist sich wohl fühlt, als wenn
sie bequem sitzen und dabei angeschnauzt werden. Dann habe ich nur noch
diesen Platz am Bettrand zu vergeben, aber das ist kein Amtsplatz und nur für
nächtliche Unterhaltungen bestimmt. Aber sie sind so still, Herr
Landvermesser?« – »Ich bin sehr müde«, sagte K., der sich auf die
Aufforderung hin sofort, grob, ohne Respekt, aufs Bett gesetzt und an den
Pfosten gelehnt hatte. »Natürlich«, sagte Bürgel lachend, »hier ist jeder müde.
Es ist zum Beispiel keine kleine Arbeit, die ich gestern und auch heute schon
geleistet habe. Es ist ja völlig ausgeschlossen, daß ich jetzt einschlafe, wenn
aber doch dieses Allerunwahrscheinlichste geschehen und ich noch, solange
Sie hier sind, einschlafen sollte, dann, bitte, halten Sie sich still und machen
Sie auch die Tür nicht auf. Aber keine Angst, ich schlafe gewiß nicht ein und
günstigenfalls nur für ein paar Minuten. Es verhält sich nämlich mit mir so,
daß ich, wahrscheinlich weil ich an Parteienverkehr so sehr gewöhnt bin,
immerhin noch am leichtesten einschlafe, wenn ich Gesellschaft habe.« –
»Schlafen Sie nur, bitte, Herr Sekretär«, sagte K., erfreut von dieser
Ankündigung, »ich werde dann, wenn Sie erlauben, auch ein wenig
schlafen.« – »Nein, nein«, lachte Bürgel wieder, »auf die bloße Einladung hin
kann ich leider nicht einschlafen, nur im Laufe des Gespräches kann sich die
Gelegenheit dazu ergeben, am ehesten schläfert mich ein Gespräch ein. Ja, die
Nerven leiden bei unserem Geschäft. Ich, zum Beispiel, bin
Verbindungssekretär. Sie wissen nicht, was das ist? Nun, ich bilde die stärkste
Verbindung« – hierbei rieb er sich eilig in unwillkürlicher Fröhlichkeit die
Hände – »zwischen Friedrich und dem Dorf, ich bilde die Verbindung
zwischen seinen Schloß- und Dorfsekretären, bin meist im Dorf, aber nicht
ständig; jeden Augenblick muß ich darauf gefaßt sein, ins Schloß
hinaufzufahren. Sie sehen die Reisetasche, ein unruhiges Leben, nicht für
jeden taugt’s. Andererseits ist es richtig, daß ich diese Art der Arbeit nicht
mehr entbehren könnte, alle andere Arbeit schiene mir schal. Wie verhält es
sich denn mit der Landvermesserei?« – »Ich mache keine solche Arbeit, ich
werde nicht als Landvermesser beschäftigt«, sagte K., er war wenig mit
seinen Gedanken bei der Sache, eigentlich brannte er nur darauf, daß Bürgel
einschlafe, aber auch das tat er nur aus einem gewissen Pflichtgefühl gegen
sich selbst, zuinnerst glaubte er zu wissen, daß der Augenblick von Bürgels
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik