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Einschlafen noch unabsehbar fern sei. »Das ist erstaunlich«, sagte Bürgel mit
lebhaftem Werfen des Kopfes und zog einen Notizblock unter der Decke
hervor, um sich etwas zu notieren. »Sie sind Landvermesser und haben keine
Landvermesserarbeit.« K. nickte mechanisch, er hatte oben auf dem
Bettpfosten den linken Arm ausgestreckt und den Kopf auf ihn gelegt, schon
verschiedentlich hatte er es sich bequem zu machen versucht, diese Stellung
war aber die bequemste von allen, er konnte nun auch ein wenig besser darauf
achten, was Bürgel sagte. »Ich bin bereit«, fuhr Bürgel fort, »diese Sache
weiter zu verfolgen. Bei uns hier liegen doch die Dinge ganz gewiß nicht so,
daß man eine fachliche Kraft unausgenützt lassen dürfte. Und auch für Sie
muß es doch kränkend sein; leiden Sie denn nicht darunter?« – »Ich leide
darunter«, sagte K. langsam und lächelte für sich, denn gerade jetzt litt er
darunter nicht im geringsten. Auch machte das Anerbieten Bürgels wenig
Eindruck auf ihn. Es war durchaus dilettantisch. Ohne etwas von den
Umständen zu wissen, unter welchen K.s Berufung erfolgt war, von den
Schwierigkeiten, welchen sie in der Gemeinde und im Schloß begegnete, von
den Verwicklungen, welche während K.s hiesigem Aufenthalt sich schon
ergeben oder angekündigt hatten, ohne von dem allen etwas zu wissen, ja
sogar ohne zu zeigen, daß ihn, was von einem Sekretär ohne weiteres hätte
angenommen werden sollen, wenigstens eine Ahnung dessen berühre, erbot er
sich, aus dem Handgelenk mit Hilfe seines kleinen Notizblockes die Sache da
oben in Ordnung zu bringen. »Sie scheinen schon einige Enttäuschungen
gehabt zu haben«, sagte Bürgel und bewies damit doch wieder einige
Menschenkenntnis, wie sich K. überhaupt, seit er das Zimmer betreten hatte,
von Zeit zu Zeit aufforderte, Bürgel nicht zu unterschätzen, aber in seinem
Zustand war es schwer, etwas anderes als die eigene Müdigkeit gerecht zu
beurteilen. »Nein«, sagte Bürgel, als antworte er auf einen Gedanken K.s und
wollte ihm rücksichtsvoll die Mühe des Aussprechens ersparen. »Sie müssen
sich nicht durch Enttäuschungen abschrecken lassen. Es scheint hier manches
ja daraufhin eingerichtet, abzuschrecken, und wenn man neu hier ankommt,
scheinen einem die Hindernisse völlig undurchdringlich. Ich will nicht
untersuchen, wie es sich damit eigentlich verhält, vielleicht entspricht der
Schein tatsächlich der Wirklichkeit, in meiner Stellung fehlt mir der richtige
Abstand, um das festzustellen, aber merken Sie auf, es ergeben sich dann
doch wieder manchmal Gelegenheiten, die mit der Gesamtlage fast nicht
übereinstimmen, Gelegenheiten, bei welchen durch ein Wort, durch einen
Blick, durch ein Zeichen des Vertrauens mehr erreicht werden kann als durch
lebenslange, auszehrende Bemühungen. Gewiß, so ist es. Freilich stimmen
dann diese Gelegenheiten doch wieder insofern mit der Gesamtlage überein,
als sie niemals ausgenutzt werden. Aber warum werden sie denn nicht
ausgenutzt, frage ich immer wieder.« K. wußte es nicht; zwar merkte er, daß
ihn das, wovon Bürgel sprach, wahrscheinlich sehr betraf, aber er hatte jetzt
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik