Seite - 206 - in Das Schloss
Bild der Seite - 206 -
Text der Seite - 206 -
Fragen und Antworten hin- und widergingen, scheint sich manchmal ein
sonderbarer, ganz und gar unpassender Austausch der Personen zu vollziehen.
So sagen es wenigstens die Sekretäre, also Leute allerdings, die von Berufs
wegen mit einem ganz außerordentlichen Feingefühl für solche Dinge begabt
sind. Aber selbst sie – dies wurde schon oft in unseren Kreisen besprochen –
merken während der Nachtverhöre von jenen ungünstigen Einwirkungen
wenig; im Gegenteil, sie strengen sich von vornherein an, ihnen
entgegenzuarbeiten und glauben schließlich, ganz besonders gute Leistungen
zustande gebracht zu haben. Liest man aber später die Protokolle nach, staunt
man oft über ihre offen zutage liegenden Schwächen. Und es sind dies Fehler,
und zwar immer wieder halb unberechtigte Gewinne der Parteien, welche
wenigstens nach unseren Vorschriften im gewöhnlichen kurzen Wege nicht
mehr gutzumachen sind. Ganz gewiß werden sie einmal noch von einem
Kontrollamt verbessert werden, aber dies wird nur dem Recht nützen, jener
Partei aber nicht mehr schaden können. Sind unter solchen Umständen die
Klagen der Sekretäre nicht sehr berechtigt?« K. hatte schon ein kleines
Weilchen in einem halben Schlummer verbracht, nun war er wieder
aufgestört. Warum dies alles? Warum dies alles? fragte er sich und betrachtete
unter den gesenkten Augenlidern Bürgel nicht wie einen Beamten, der mit
ihm schwierige Fragen besprach, sondern nur wie irgend etwas, das ihn am
Schlafen hinderte und dessen sonstigen Sinn er nicht ausfindig machen
konnte. Bürgel aber, ganz seinem Gedankengang hingegeben, lächelte, als sei
es ihm eben gelungen, K. ein wenig irrezuführen. Doch war er bereit, ihn
gleich wieder auf den richtigen Weg zurückzubringen. »Nun«, sagte er, »ganz
berechtigt kann man diese Klagen ohne weiteres auch wieder nicht nennen.
Die Nachtverhöre sind zwar nirgends geradezu vorgeschrieben, man vergeht
sich also gegen keine Vorschrift, wenn man sie zu vermeiden sucht, aber die
Verhältnisse, die Überfülle der Arbeit, die Beschäftigungsart der Beamten im
Schloß, ihre schwere Abkömmlichkeit, die Vorschrift, daß das Parteienverhör
erst nach vollständigem Abschluß der sonstigen Untersuchung, dann aber
sofort zu erfolgen habe, alles dieses und anderes mehr hat die Nachtverhöre
doch zu einer unumgänglichen Notwendigkeit gemacht. Wenn sie nun aber
eine Notwendigkeit geworden sind – so sage ich -, ist dies doch auch,
wenigstens mittelbar, ein Ergebnis der Vorschriften, und an dem Wesen der
Nachtverhöre mäkeln, hieße dann fast – ich übertreibe natürlich ein wenig,
darum, als Übertreibung, darf ich es aussprechen , hieße dann sogar an den
Vorschriften mäkeln.
Dagegen mag es den Sekretären zugestanden bleiben, daß sie sich innerhalb
der Vorschriften gegen die Nachtverhöre und ihre vielleicht nur scheinbaren
Nachteile zu sichern suchen, so gut es geht. Das tun sie ja auch, und zwar in
größtem Ausmaß. Sie lassen nur Verhandlungsgegenstände zu, von denen in
206
zurück zum
Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik