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jedem Sinne möglichst wenig zu befürchten ist, prüfen sich vor den
Verhandlungen genau und sagen, wenn das Ergebnis der Prüfung es verlangt,
auch noch im letzten Augenblick alle Einvernahmen ab, stärken sich, indem
sie eine Partei oft zehnmal berufen, ehe sie sie wirklich vornehmen, lassen
sich gern von Kollegen vertreten, welche für den betreffenden Fall
unzuständig sind und ihn daher mit größerer Leichtigkeit behandeln können,
setzen die Verhandlungen wenigstens auf den Anfang oder das Ende der
Nacht an und vermeiden die mittleren Stunden, solcher Maßnahmen gibt es
noch viele, sie lassen sich nicht leicht beikommen, die Sekretäre, sie sind fast
ebenso widerstandsfähig wie verletzlich.« K. schlief, es war zwar kein
eigentlicher Schlaf, er hörte Bürgels Worte vielleicht besser als während des
früheren todmüden Wachens, Wort für Wort schlug an sein Ohr, aber das
lästige Bewußtsein war geschwunden, er fühlte sich frei, nicht Bürgel hielt
ihn mehr, nur er tastete noch manchmal nach Bürgel hin, er war noch nicht in
der Tiefe des Schlafes, aber eingetaucht in ihn war er. Niemand sollte ihm das
mehr rauben. Und es war ihm, als sei ihm damit ein großer Sieg gelungen,
und schon war auch eine Gesellschaft da, dies zu feiern, und er oder auch
jemand anders hob das Champagnerglas zu Ehren dieses Sieges. Und damit
alle wissen sollten, worum es sich handle, wurde der Kampf und der Sieg
noch einmal wiederholt oder vielleicht gar nicht wiederholt, sondern fand erst
jetzt statt und war schon früher gefeiert worden, und es wurde nicht
abgelassen, ihn zu feiern, weil der Ausgang glücklicherweise gewiß war. Ein
Sekretär, nackt, sehr ähnlich der Statue eines griechischen Gottes, wurde von
K. im Kampf bedrängt. Es war sehr komisch, und K. lächelte darüber sanft im
Schlaf, wie der Sekretär aus seiner stolzen Haltung durch K.s Vorstöße immer
aufgeschreckt wurde und etwa den hochgestreckten Arm und die geballte
Faust schnell dazu verwenden mußte, um seine Blößen zu decken, und doch
damit noch immer zu langsam war. Der Kampf dauerte nicht lange; Schritt für
Schritt, und es waren sehr große Schritte, rückte K. vor. War es überhaupt ein
Kampf? Es gab kein ernstliches Hindernis, nur hier und da ein Piepsen des
Sekretärs. Dieser griechische Gott piepste wie ein Mädchen, das gekitzelt
wird. Und schließlich war er fort, K. war allein in einem großen Raum,
kampfbereit drehte er sich um und suchte den Gegner; es war aber niemand
mehr da, auch die Gesellschaft hatte sich verlaufen, nur das Champagnerglas
lag zerbrochen auf der Erde. K. zertrat es völlig. Die Scherben aber stachen,
zusammenzuckend erwachte er doch wieder, ihm war übel wie einem kleinen
Kind, wenn es geweckt wird. Trotzdem streifte ihn beim Anblick der
entblößten Brust Bürgels vom Traum her der Gedanke- Hier hast du ja deinen
griechischen Gott! Reiß ihn doch aus den Federn. »Es gibt aber«, sagte
Bürgel, nachdenklich das Gesicht zur Zimmerdecke erhoben, als suche er in
der Erinnerung nach Beispielen, könne aber keine finden, »es gibt aber
dennoch trotz allen Vorsichtsmaßregeln für die Parteien eine Möglichkeit,
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik