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Kapitel
Wahrscheinlich wäre er ebenso gleichgültig an Erlangers Zimmer
vorübergegangen, wenn Erlanger nicht in der offenen Türe gestanden wäre
und ihm zugewinkt hätte. Ein kurzer, einmaliger Wink mit dem Zeigefinger.
Erlanger war zum Weggehen schon völlig bereit, er trug einen schwarzen
Pelzmantel mit knappem, hochgeknöpftem Kragen. Ein Diener reichte ihm
gerade die Handschuhe und hielt noch eine Pelzmütze. »Sie hätten schon
längst kommen sollen«, sagte Erlanger. K. wollte sich entschuldigen. Erlanger
zeigte durch ein müdes Schließen der Augen, daß er darauf verzichte. »Es
handelt sich um folgendes«, sagte er. »Im Ausschank war früher eine gewisse
Frieda bedienstet; ich kenne nur ihren Namen, sie selbst kenne ich nicht, sie
bekümmert mich nicht. Diese Frieda hat manchmal Klamm das Bier serviert.
Jetzt scheint dort ein anderes Mädchen zu sein. Nun ist diese Veränderung
natürlich belanglos, wahrscheinlich für jeden, und für Klamm ganz gewiß. Je
größer aber eine Arbeit ist, und Klamms Arbeit ist freilich die größte, desto
weniger Kraft bleibt, sich gegen die Außenwelt zu wehren, infolgedessen
kann dann jede belanglose Veränderung der belanglosesten Dinge ernstlich
stören. Die kleinste Veränderung auf dem Schreibtisch, die Beseitigung eines
dort seit jeher vorhanden gewesenen Schmutzflecks, das alles kann stören und
ebenso ein neues Serviermädchen. Nun stört freilich das alles, selbst wenn es
jeden anderen und bei jeder beliebigen Arbeit störte, Klamm nicht; davon
kann gar keine Rede sein. Trotzdem sind wir verpflichtet, über Klamms
Behagen derart zu wachen, daß wir selbst Störungen, die für ihn keine sind –
und wahrscheinlich gibt es für ihn überhaupt keine -, beseitigen, wenn sie uns
als mögliche Störungen auffallen. Nicht seinetwegen, nicht seiner Arbeit
wegen beseitigen wir diese Störungen, sondern unseretwegen, unseres
Gewissens und unserer Ruhe wegen. Deshalb muß jene Frieda sofort wieder
in den Ausschank zurückkehren, vielleicht wird sie gerade dadurch, daß sie
zurückkehrt, stören; nun, dann werden wir sie wieder wegschicken, vorläufig
aber muß sie zurückkehren. Sie leben mit ihr, wie man mir gesagt hat,
veranlassen Sie daher sofort ihre Rückkehr. Auf persönliche Gefühle kann
dabei keine Rücksicht genommen werden, das ist ja selbstverständlich, daher
lasse ich mich auch nicht in die geringste weitere Erörterung der Sache ein.
Ich tue schon viel mehr, als nötig ist, wenn ich erwähne, daß Ihnen, wenn Sie
sich in dieser Kleinigkeit bewähren, dies in Ihrem Fortkommen gelegentlich
nützlich sein kann. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe.« Er nickte K.
zum Abschied zu, setzte sich die von dem Diener gereichte Pelzmütze auf und
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik