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zugehörigen Akten, manchmal auch nur ein Blättchen – in solchen Fällen
entspann sich ein kleines Gespräch vom Zimmer zum Gang, wahrscheinlich
wurden dem Diener Vorwürfe gemacht -, wurden ins Zimmer hineingereicht.
Blieb die Tür geschlossen, wurden die Akten sorgfältig auf der Türschwelle
aufgehäuft. In solchen Fällen schien es K., als ob die Bewegung der Türen in
der Umgebung nicht nachließe, obwohl auch dort schon die Akten verteilt
worden waren, sondern eher sich verstärke. Vielleicht lugten die anderen
begehrlich nach den auf der Türschwelle unbegreiflicherweise noch
unbehoben liegenden Akten, sie konnten nicht verstehen, wie jemand nur die
Tür zu öffnen brauche, um in den Besitz seiner Akten zu kommen, und es
doch nicht tue; vielleicht war es sogar möglich, daß endgültig unbehobene
Akten später unter die anderen Herren verteilt würden, welche schon jetzt
durch häufiges Nachschauen sich überzeugen wollten, ob die Akten noch
immer auf der Schwelle lägen und ob also noch immer für sie Hoffnung
vorhanden sei. Übrigens waren diese liegengebliebenen Akten meistens
besonders große Bündel; und K. nahm an, daß sie aus einer gewissen
Prahlerei oder Bosheit oder auch aus berechtigtem, die Kollegen
aufmunterndem Stolz vorläufig liegengelassen worden waren. In dieser
Annahme bestärkte ihn, daß manchmal, immer wenn er gerade nicht hinsah,
der Sack, nachdem er lange genug zur Schau gestellt gewesen war, plötzlich
und eiligst ins Zimmer hineingezogen wurde und die Tür dann wieder
unbeweglich wie früher blieb, auch die Türen in der Umgebung beruhigten
sich dann, enttäuscht oder auch zufrieden damit, daß dieser Gegenstand
fortwährender Reizung endlich beseitigt war, doch kamen sie dann allmählich
wieder in Bewegung.
K. betrachtete das alles nicht nur mit Neugier, sondern auch mit Teilnahme.
Er fühlte sich fast wohl inmitten des Getriebes, sah hierhin und dorthin und
folgte – wenn auch in entsprechender Entfernung – den Dienern, die sich
freilich schon öfters mit strengem Blick, gesenktem Kopf, aufgeworfenen
Lippen nach ihm umgewandt hatten, und sah ihrer Verteilungsarbeit zu. Sie
ging, je weiter sie fortschritt, immer weniger glatt vonstatten, entweder
stimmte das Verzeichnis nicht ganz oder waren die Akten für den Diener nicht
immer gut unterscheidbar oder erhoben die Herren aus anderen Gründen
Einwände; jedenfalls kam es vor, daß manche Verteilungen rückgängig
gemacht werden mußten, dann fuhr das Wägelchen zurück, und es wurde
durch den Türspalt wegen der Rückgabe der Akten verhandelt. Die
Verhandlungen machten schon an sich große Schwierigkeiten, es kam aber
häufig genug vor, daß, wenn es sich um die Rückgabe handelte, gerade Türen,
die früher in der lebhaftesten Bewegung gewesen waren, jetzt unerbittlich
geschlossen blieben, wie wenn sie von der Sache gar nichts mehr wissen
wollten. Dann begannen erst die eigentlichen Schwierigkeiten. Derjenige,
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik