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Vorgänge. Inmitten dieser Unruhe war es K. auffällig, daß Bürgels Tür die
ganze Zeit über geschlossen blieb und daß die Diener diesen Teil des Ganges
schon passiert hatten, Bürgel aber keine Akten zugeteilt worden waren.
Vielleicht schlief er noch, was allerdings in diesem Lärm einen sehr gesunden
Schlaf bedeutet hätte, warum aber hatte er keine Akten bekommen? Nur sehr
wenige Zimmer, und überdies wahrscheinlich unbewohnte, waren in dieser
Weise übergangen worden. Dagegen war in dem Zimmer Erlangers schon ein
neuer und besonders unruhiger Gast, Erlanger mußte von ihm in der Nacht
förmlich ausgetrieben worden sein, das paßte wenig zu Erlangers kühlem,
weitläufigem Wesen, aber daß er K. an der Türschwelle hatte erwarten
müssen, deutete doch darauf hin.
Von allen abseitigen Beobachtungen kehrte dann K. immer bald wieder zu
dem Diener zurück; für diesen Diener traf das wahrlich nicht zu, was man K.
sonst von den Dienern im allgemeinen, von ihrer Untätigkeit, ihrem
bequemen Leben, ihrem Hochmut erzählt hatte, es gab wohl auch Ausnahmen
unter den Dienern oder, was wahrscheinlicher war, verschiedene Gruppen
unter ihnen, denn hier waren, wie K. merkte, viele Abgrenzungen, von denen
er bisher kaum eine Andeutung zu sehen bekommen hatte. Besonders die
Unnachgiebigkeit dieses Dieners gefiel ihm sehr. Im Kampf mit diesen
kleinen, hartnäckigen Zimmern – K. schien es oft ein Kampf mit den
Zimmern, da er die Bewohner kaum zu sehen bekam – ließ der Diener nicht
nach. Er ermattete zwar – wer wäre nicht ermattet? -, aber bald hatte er sich
wieder erholt, glitt vom Wägelchen herunter und ging aufrecht mit
zusammengebissenen Zähnen wieder gegen die zu erobernde Tür los. Und es
geschah, daß er zweimal und dreimal zurückgeschlagen wurde, auf sehr
einfache Weise allerdings, nur durch das verteufelte Schweigen, und dennoch
gar nicht besiegt war. Da er sah, daß er durch offenen Angriff nichts erreichen
konnte, versuchte er es auf andere Weise, zum Beispiel, soweit es K. richtig
verstand, durch List. Er ließ dann scheinbar von der Tür ab, ließ sie
gewissermaßen ihre Schweigsamkeit erschöpfen, wandte sich anderen Türen
zu, nach einer Weile kehrte er wieder zurück, rief den anderen Diener, alles
auffallend und laut, und begann auf der Schwelle der verschlossenen Tür
Akten aufzuhäufen, so, als habe er seine Meinung geändert, und dem Herrn
sei rechtmäßigerweise nichts wegzunehmen, sondern vielmehr zuzuteilen.
Dann ging er weiter, behielt aber die Tür immer im Auge, und wenn dann der
Herr, wie es gewöhnlich geschah, bald vorsichtig die Tür öffnete, um die
Akten zu sich hineinzuziehen, war der Diener mit ein paar Sprüngen dort,
schob den Fuß zwischen Tür und Pfosten und zwang so den Herrn,
wenigstens von Angesicht zu Angesicht mit ihm zu verhandeln, was dann
gewöhnlich doch zu einem halbwegs befriedigenden Ergebnis führte. Und
gelang es nicht so oder schien ihm bei einer Tür dies nicht die richtige Art,
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik