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und versuche, wieder in den Gang einzudringen. Auch waren sie selbst müde
von dem nächtlichen Schrecken und dem vorzeitigen Aufstehen, besonders
die Wirtin, die ein seidenartig knisterndes, breitröckiges, braunes, ein wenig
unordentlich geknöpftes und gebundenes Kleid anhatte – wo hatte sie es in
der Eile hervorgeholt? -, den Kopf wie geknickt an die Schulter ihres Mannes
gelehnt hielt, mit einem feinen Tüchelchen die Augen betupfte und
dazwischen kindlich böse Blicke auf K. richtete. Um das Ehepaar zu
beruhigen, sagte K., daß alles, was sie ihm jetzt erzählt hätten, ihm völlig neu
sei, daß er aber trotz der Unkenntnis dessen doch nicht so lange im Gang
geblieben wäre, wo er wirklich nichts zu tun hatte und gewiß niemanden hätte
quälen wollen, sondern das alles nur aus übergroßer Müdigkeit geschehen sei.
Er danke ihnen dafür, daß sie der peinlichen Szene ein Ende gemacht hätten,
sollte er zur Verantwortung gezogen werden, werde ihm das sehr willkommen
sein, denn nur so könne er eine allgemeine Mißdeutung seines Benehmens
verhindern. Nur die Müdigkeit und nichts anderes sei daran schuld gewesen.
Diese Müdigkeit aber stamme daher, daß er die Anstrengung der Verhöre
noch nicht gewöhnt sei. Er sei ja noch nicht lange hier. Werde er darin einige
Erfahrung haben, werde etwas Ähnliches nicht wieder vorkommen können.
Vielleicht nehme er die Verhöre zu ernst, aber das sei doch wohl an sich kein
Nachteil. Er habe zwei Verhöre, kurz nacheinander, durchzumachen gehabt,
eines bei Bürgel und das zweite bei Erlanger, besonders das erste habe ihn
sehr erschöpft, das zweite allerdings habe nicht lange gedauert. Erlanger habe
ihn nur um eine Gefälligkeit gebeten, aber beide zusammen seien mehr, als er
auf einmal ertragen könne, vielleicht wäre etwas Derartiges auch für einen
anderen, etwa den Herrn Wirt, zuviel. Aus dem zweiten Verhör sei er
eigentlich nur schon fortgetaumelt. Es sei fast eine Art Trunkenheit gewesen;
er habe ja die zwei Herren zum erstenmal gesehen und gehört und ihnen doch
auch antworten müssen. Alles sei, soviel er wisse, recht gut ausgefallen, dann
aber sei jenes Unglück geschehen, das man ihm aber nach dem
Vorhergegangenen wohl kaum zur Schuld anrechnen könne. Leider hätten nur
Erlanger und Bürgel seinen Zustand erkannt, und sicher hätten sie sich seiner
angenommen und alles weitere verhütet, aber Erlanger habe nach dem Verhör
gleich weggehen müssen, offenbar um ins Schloß zu fahren, und Bürgel sei,
wahrscheinlich von jenem Verhör ermüdet – wie hätte es also K.
ungeschwächt überdauern sollen? -, eingeschlafen und habe sogar die ganze
Aktenverteilung verschlafen. Hätte K. eine ähnliche Möglichkeit gehabt, er
hätte sie mit Freuden benutzt und gern auf alle verbotenen Einblicke
verzichtet, dies um so leichter, als er ja in Wirklichkeit gar nichts zu sehen
imstande gewesen sei und deshalb auch die empfindlichsten Herren sich
ungescheut vor ihm hätten zeigen können.
Die Erwähnung der beiden Verhöre – gar jenes mit Erlanger und der
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik