Seite - 225 - in Das Schloss
Bild der Seite - 225 -
Text der Seite - 225 -
20
Kapitel
Als K. erwachte, glaubte er zuerst, kaum geschlafen zu haben; das Zimmer
war unverändert leer und warm, alle Wände in Finsternis, die eine Glühlampe
über den Bierhähnen erloschen, auch vor den Fenstern Nacht. Aber als er sich
streckte, das Kissen herunterfiel und Bett und Fässer knarrten, kam gleich
Pepi, und nun erfuhr er, daß es schon Abend war und er weit über zwölf
Stunden geschlafen hatte. Die Wirtin hatte einige Male während des Tages
nach ihm gefragt, auch Gerstäcker, der am Morgen, als K. mit der Wirtin
gesprochen hatte, hier im Dunkel beim Bier gewartet, aber dann K. nicht
mehr zu stören gewagt hatte, war inzwischen einmal hier gewesen, um nach
K. zu sehen, und schließlich war angeblich auch Frieda gekommen und war
einen Augenblick bei K. gestanden, doch war sie kaum K.s wegen
gekommen, sondern weil sie verschiedenes hier vorzubereiten hatte, denn am
Abend sollte sie ja wieder ihren alten Dienst antreten. »Sie mag dich wohl
nicht mehr?« fragte Pepi, während sie Kaffee und Kuchen brachte. Aber sie
fragte es nicht mehr boshaft nach ihrer früheren Art, sondern traurig, als habe
sie inzwischen die Bosheit der Welt kennengelernt, gegenüber der alle eigene
Bosheit versagt und sinnlos wird; wie zu einem Leidensgenossen sprach sie
zu K., und als er den Kaffee kostete und sie zu sehen glaubte, daß er ihn nicht
genug süß finde, lief sie und brachte ihm die volle Zuckerdose. Ihre
Traurigkeit hatte sie freilich nicht gehindert, sich heute vielleicht noch mehr
zu schmücken als das letztemal; an Maschen und an Bändern, die durch das
Haar geflochten waren, hatte sie eine Fülle, die Stirn entlang und an den
Schläfen waren die Haare sorgfältig gebrannt, und um den Hals hatte sie ein
Kettchen, das in den tiefen Ausschnitt der Bluse hinabhing. Als K. in der
Zufriedenheit, endlich einmal ausgeschlafen zu sein und einen guten Kaffee
trinken zu dürfen, heimlich nach einer Masche langte und sie zu öffnen
versuchte, sagte Pepi müde: »Laß mich doch«, und setzte sich neben ihn auf
ein Faß. Und K. mußte sie gar nicht nach ihrem Leid fragen, sie begann selbst
gleich zu erzählen, den Blick starr in K.s Kaffeetopf gerichtet, als brauche sie
eine Ablenkung, selbst während sie erzählte, als könne sie, selbst wenn sie
sich mit ihrem Leid beschäftigte, sich ihm nicht ganz hingeben, denn das
ginge über ihre Kräfte. Zunächst erfuhr K., daß eigentlich er an Pepis
Unglück schuld sei, daß sie es ihm aber nicht nachtrage. Und sie nickte eifrig
während der Erzählung, um keinen Widerspruch K.s aufkommen zu lassen.
Zuerst habe er Frieda aus dem Ausschank fortgenommen und dadurch Pepis
Aufstieg ermöglicht. Es ist sonst nichts anderes ausdenkbar, was Frieda hätte
225
zurück zum
Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik