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natürlich nicht unbemerkt bleiben, sie merkt ja gewöhnlich Dinge, noch ehe
sie vorhanden sind. Ein wirklich schönes, liebenswürdiges Mädchen muß,
wenn es sich einmal im Ausschank eingelebt hat, keine Künste aufwenden;
solange es schön ist, wird es, wenn nicht ein besonderer, unglücklicher Zufall
eintritt, Ausschankmädchen sein. Ein Mädchen wie Frieda aber muß
immerfort um ihre Stelle besorgt sein, natürlich zeigt sie es verständigerweise
nicht, eher pflegt sie zu klagen und die Stelle zu verwünschen. Aber im
geheimen beobachtet sie die Stimmung fortwährend. Und so sah sie, wie die
Leute gleichgültig wurden, das Auftreten Friedas war nichts mehr, was auch
nur lohnte, die Augen zu heben, nicht einmal die Knechte kümmerten sich
mehr um sie, die hielten sich verständigerweise an Olga und dergleichen
Mädchen, auch am Benehmen des Wirts merkte sie, daß sie immer weniger
unentbehrlich war, immer neue Geschichten von Klamm konnte man auch
nicht erfinden, alles hat Grenzen, und so entschloß sich die gute Frieda zu
etwas Neuem. Wer nur imstande gewesen wäre, es gleich zu durchschauen!
Pepi hat es geahnt, aber durchschaut hat sie es leider nicht. Frieda entschloß
sich, Skandal zu machen, sie, die Geliebte Klamms, wirft sich irgendeinem
Beliebigen, womöglich dem Allergeringsten, hin. Das wird Aufsehen
machen, davon wird man lange reden und endlich, endlich wird man sich
wieder daran erinnern, was es bedeutet, Klamms Geliebte zu sein, diese Ehre
im Rausche einer neuen Liebe zu verwerfen. Schwer war es nur, den
geeigneten Mann zu finden, mit dem das kluge Spiel zu spielen war. Ein
Bekannter Friedas durfte es nicht sein, nicht einmal einer von den Knechten,
er hätte sie wahrscheinlich mit großen Augen angesehen und wäre
weitergegangen, vor allem hätte er nicht genug Ernst bewahrt, und es wäre
mit aller Redefertigkeit unmöglich gewesen, zu verbreiten, daß Frieda von
ihm überfallen worden sei, sich seiner nicht habe erwehren können und in
einer besinnungslosen Stunde ihm erlegen sei. Und wenn es auch ein
Allergeringster sein sollte, so mußte es doch einer sein, von dem glaubhaft
gemacht werden konnte, daß er trotz seiner stumpfen, unfeinen Art sich doch
nach niemandem anderen als gerade nach Frieda sehnte und kein höheres
Verlangen hatte, als – du lieber Himmel! – Frieda zu heiraten. Aber wenn es
auch ein gemeiner Mann sein sollte, womöglich noch niedriger als ein
Knecht, viel niedriger als ein Knecht, so doch einer, wegen dessen einen nicht
jedes Mädchen verlacht, an dem vielleicht auch ein anderes urteilsfähiges
Mädchen einmal etwas Anziehendes finden könnte. Wo findet man aber einen
solchen Mann? Ein anderes Mädchen hätte ihn wahrscheinlich ein Leben lang
vergeblich gesucht. Friedas Glück führt ihr den Landvermesser in den
Ausschank, vielleicht gerade an dem Abend, an dem ihr der Plan zum
erstenmal in den Sinn kommt. Der Landvermesser! Ja, woran denkt denn K.?
Was hat er für besondere Dinge im Kopf? Wird er etwas Besonderes
erreichen? Eine gute Anstellung, eine Auszeichnung? Will er etwas
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik