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herumwandert, liegt er ahnungslos zu ihren Füßen, während sie die Stunden
zählt, die sie noch vom Ausschank trennen. Aber nicht nur diesen Botendienst
leisten die Gehilfen, sie dienen auch dazu, K. eifersüchtig zu machen, ihn
warmzuhalten! Seit ihrer Kindheit kennt Frieda die Gehilfen, Geheimnisse
haben sie gewiß keine mehr voreinander, aber K. zu Ehren fangen sie an, sich
nacheinander zu sehnen, und es entsteht für K. die Gefahr, daß es eine große
Liebe wird. Und K. tut Frieda alles zu Gefallen, auch das Widersprechendste,
er läßt sich von den Gehilfen eifersüchtig machen, duldet aber doch, daß alle
drei beisammen bleiben, während er allein auf seine Wanderungen geht. Es ist
fast, als sei er Friedas dritter Gehilfe. Da entscheidet sich Frieda endlich auf
Grund ihrer Beobachtungen zum großen Schlag: Sie beschließt
zurückzukehren. Und es ist wirklich höchste Zeit, es ist bewunderungswürdig,
wie Frieda, die Schlaue, dieses erkennt und ausnützt; diese Kraft der
Beobachtung und des Entschlusses sind Friedas unnachahmbare Kunst; wenn
Pepi sie hätte, wie anders würde ihr Leben verlaufen. Wäre Frieda noch ein,
zwei Tage länger in der Schule geblieben, ist Pepi nicht mehr zu vertreiben,
ist endgültig Ausschankmädchen, von allen geliebt und gehalten, hat genug
Geld verdient, um die notdürftige Ausstattung blendend zu ergänzen, noch
ein, zwei Tage, und Klamm ist durch keine Ränke mehr vom Gastzimmer
abzuhalten, kommt, trinkt, fühlt sich behaglich und ist, wenn er Friedas
Abwesenheit überhaupt bemerkt, mit der Veränderung hoch zufrieden, noch
ein, zwei Tage, und Frieda mit ihrem Skandal, mit ihren Verbindungen, mit
den Gehilfen, mit allem, ist ganz und gar vergessen, niemals kommt sie mehr
hervor. Dann könnte sie sich vielleicht desto fester an K. halten und könnte,
vorausgesetzt, daß sie dessen fähig ist, ihn wirklich liebenlernen? Nein, auch
das nicht. Denn mehr als einen Tag braucht auch K. nicht mehr, um ihrer
überdrüssig zu werden, um zu erkennen, wie schmählich sie ihn täuscht, mit
allem, mit ihrer angeblichen Schönheit, ihrer angeblichen Treue und am
meisten mit der angeblichen Liebe Klamms; nur einen Tag noch, nicht mehr,
braucht er, um sie mit der ganzen schmutzigen Gehilfenwirtschaft aus dem
Hause zu jagen; man denke, nicht einmal K. braucht mehr. Und da, zwischen
diesen beiden Gefahren, da sich förmlich schon das Grab über ihr zu
schließen anfängt – K. in seiner Einfalt hält ihr noch den letzten, schmalen
Weg frei -, da brennt sie durch – das hat kaum jemand mehr erwartet, es geht
gegen die Natur -, plötzlich ist sie es, die K., den noch immer sie liebenden,
immer sie verfolgenden, fortjagt und unter dem nachhelfenden Druck der
Freunde und Gehilfen dem Wirt als Retterin erscheint, durch ihren Skandal
viel lockender als früher, erwiesenermaßen begehrt von den Niedrigsten wie
von den Höchsten, dem Niedrigen aber nur für einen Augenblick verfallend,
bald ihn fortstoßend, wie es sich gehört, und ihm und allen wieder
unerreichbar wie früher; nur daß man früher das alles schon mit Recht
bezweifelte, jetzt aber wieder überzeugt worden ist. So kommt sie zurück, der
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik