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war, und nun bin ich doch durchgebrochen und war von ihnen abgetrennt.
Freilich, ich habe sie nicht vergessen, und es war meine nächste Sorge, wie
ich etwas für sie tun könnte; meine eigene Stellung war noch unsicher – wie
unsicher sie war, wußte ich gar nicht -, und schon sprach ich mit dem Wirt
über Henriette und Emilie. Hinsichtlich Henriettes war der Wirt nicht ganz
unnachgiebig, für Emilie, die viel älter als wir ist, sie ist etwa in Friedas Alter,
gab er mir allerdings keine Hoffnung. Aber denk nur, sie wollen ja gar nicht
fort, sie wissen, daß es ein elendes Leben ist, das sie dort führen, aber sie
haben sich schon gefügt, die guten Seelen, ich glaube, ihre Tränen beim
Abschied galten am meisten der Trauer darüber, daß ich das gemeinsame
Zimmer verlassen müßte, in die Kälte hinausging – uns scheint dort alles kalt,
was außerhalb des Zimmers ist – und in den großen, fremden Räumen mit
großen, fremden Menschen mich herumschlagen müsse, zu keinem anderen
Zweck, als um das Leben zu fristen, was mir doch auch in der gemeinsamen
Wirtschaft bisher gelungen war. Sie werden wahrscheinlich gar nicht staunen,
wenn ich jetzt zurückkomme, und nur um mir nachzugeben, werden sie ein
wenig weinen und mein Schicksal beklagen. Aber dann werden sie dich sehen
und merken, daß es doch gut gewesen ist, daß ich fort war. Daß wir jetzt einen
Mann als Helfer und Schutz haben, wird sie glücklich machen, und geradezu
entzückt werden sie darüber sein, daß alles ein Geheimnis bleiben muß und
daß wir durch dieses Geheimnis noch enger verbunden werden als bisher.
Komm, o bitte, komm zu uns! Es entsteht ja keine Verpflichtung für dich, du
wirst nicht an unser Zimmer für immer gebunden sein, so wie wir. Wenn es
dann Frühjahr wird und du anderswo ein Unterkommen findest und es dir bei
uns nicht mehr gefällt, kannst du ja gehen; nur allerdings das Geheimnis mußt
du auch dann wahren und nicht etwa uns verraten, denn das wäre dann unsere
letzte Stunde im Herrenhof, und auch sonst mußt du natürlich, wenn du bei
uns bist, vorsichtig sein, dich nirgends zeigen, wo wir es nicht für
ungefährlich ansehen, und überhaupt unseren Ratschlägen folgen; das ist das
einzige, was dich bindet, und daran muß dir ja auch ebenso gelegen sein wie
uns, sonst bist du aber völlig frei, die Arbeit, die wir dir zuteilen werden, wird
nicht schwer sein, davor fürchte dich nicht. Kommst du also?« – »Wie lange
haben wir noch bis zum Frühjahr?« fragte K. »Bis zum Frühjahr?«
wiederholte Pepi. »Der Winter ist bei uns lang, ein sehr langer Winter und
einförmig. Darüber aber klagen wir unten nicht, gegen den Winter sind wir
gesichert. Nun, einmal kommt auch das Frühjahr und der Sommer, und es hat
wohl auch seine Zeit; aber in der Erinnerung, jetzt, scheint Frühjahr und
Sommer so kurz, als wären es nicht viel mehr als zwei Tage, und selbst an
diesen Tagen, auch durch den allerschönsten Tag, fällt dann noch manchmal
Schnee.«
Da öffnete sich die Tür. Pepi zuckte zusammen, sie hatte sich in Gedanken
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Buch Das Schloss"
Das Schloss
- Titel
- Das Schloss
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 246
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik