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Das Rote Wien | 31
Die aufstrebende Wiener SiedlerInnenbewegung konnte sich aufgrund fehlender Vor-
aussetzungen wie etwa die Gartenstadt-, Schrebergarten- und Bauvereinsbewegung zu
einer starken, nicht besitzindividualistischen Genossenschaftsbewegung formieren. Ab
1920 untermauerte diese ihre kulturellen und sozialen Forderungen mit Großdemonstra-
tionen, die durchwegs auf die Legalisierung der besetzten Grundstücke abzielten.76
Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei erkannte das Potential der neuen Bewegung und
integrierte sie in die eigenen politischen Strukturen, was der genossenschaftlichen Sied-
lerInnenbewegung einen Aufschwung bis 1923 bescherte. 1920 wurde dafür das Siedlungs-
amt als provisorische Unterabteilung des Wohnungsamts gegründet, das im darauffolgenden
Jahr zur eigenen Magistratsabteilung erhoben wurde. Im September 1921 konnten die
SiedlerInnen durch den Zusammenschluss des Verbandes der Schrebergartenvereine Österreichs
und des Hauptverbandes für Siedlungs- und Kleingartenwesen im Österreichischen Verband für
Siedlungs- und Kleingartenwesen zentralisiert werden. Mit der Errichtung der Gemeinwirt-
schaftlichen Siedlungs- und Baustoffanstalt (GESIBA) im September 1921 entstand ein
kommunaler Baustofflieferant.77
Erst mit personellen Umbesetzungen im Gemeinderat und dem Amtsantritt des neuen
sozialdemokratischen Bürgermeisters Karl Seitz78 am 13. November 1923 geriet die auf
genossenschaftlicher Selbsthilfe basierende SiedlerInnenbewegung durch Entzug der
sozialdemokratischen Unterstützung in die Defensive. Durch Förderung des Hochbaus
in einem am 21. September 1923 beschlossenen Gemeindewohnbauprogramm sollten in
nur fünf Jahren 25.000 Wohnungen entstehen. Die konservative Bundesregierung kürzte
daraufhin ab 1924 alle Zuschüsse an die gemeinnützigen Wohnbauträger, wodurch der
genossenschaftliche Siedlungsbau fast vollständig zum Erliegen kam und Auflösungser-
scheinungen in seiner Infrastruktur zeigte.79
Im selben Jahr begann die Wiener Gemeinde mit der Errichtung gemeindeeigener
Siedlungen, die kommunales Eigentum darstellten und wie die Gemeindebauwohnungen
zentral verwaltet wurden. Die Siedlungsgenossenschaften wandten sich deswegen weit-
gehend von der Sozialdemokratie ab und vollführten einen Schwenk ins konservative
Lager.80 Durch die politische Umorientierung wurde auch Otto Neuraths81 städtebauliches
Konzept der Verschiebung des Schwerpunktes der Stadt an deren Ränder durch die
76 Zimmerl, Kübeldörfer, 2002, S. 72 f.
77 Ebd., S. 76–78.
78 Der Sozialdemokrat Seitz war 1918 einer der drei Präsidenten der provisorischen Nationalversammlung der Republik
Deutschösterreich. Am 11. November 1918 wurde er Parteivorsitzender und Leiter des Parlamentklubs. Ab 1923 wur-
de er nach Reumann zweiter sozialdemokratischer Bürgermeister Wiens. In seiner Amtszeit wurde das Wohnbaupro-
gramm des Roten Wien forciert vorangetrieben. Nach dem Bürgerkrieg 1934 wurde er verhaftet.
79 Zimmerl, Kübeldörfer, 2002, S. 108 f.
80 Frei, Graswurzel, 1991, S. 154 f., 165; Hoffmann, Hack’ und Spaten, 1987, S. 63–65.
81 Der Ökonom Neurath gründete in Wien 1924 das Museum für Siedlung und Städtebau. Im Zuge dieser Tätigkeit entwi-
ckelte er standardisierte bildliche Darstellungen zur Vermittlung wirtschaftlichen Wissens.
Das Schwarze Wien
Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
- Titel
- Das Schwarze Wien
- Untertitel
- Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
- Autor
- Andreas Suttner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20292-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 296
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918