Seite - 175 - in Das Schwarze Wien - Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
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Denkmal-, Kirchen- und Verwaltungsbau im Ständestaat | 175
1935, die nicht nur dem Gedenken an Dollfuß, sondern auch dem der im Bürgerkrieg und
während des Putsches von 1934 Gefallenen diente.752
Die stilistische Erneuerung des Kirchenbaus der späten 1920er Jahre in Deutschland
hatte eine starke Vorbildwirkung für die österreichischen Architekten Clemens Holzmeis-
ter und Robert Kramreiter. Sie entwickelten insbesondere zusammen mit dem Kloster-
neuburger Augustiner-Chorherr Pius Parsch753 und dem Kölner Baumeister Dominikus
Böhm754 eine neue Formensprache. Trotz unterschiedlicher architektonischer Auffassun-
gen gelten Holzmeister und Kramreiter als Wegbereiter des modernen Kirchenbaus in
Österreich. Dombaumeister Karl Holey beschränkte sich, im Gegensatz zu den beiden
Architekten, auf Umbauten und das äußere Erscheinungsbild der Kirchen.755
Der forcierte Kirchenbau im ständestaatlichen Österreich, insbesondere in Wien, wurde
mit der Dringlichkeit der Seelsorge und der Überbelegung bestehender Pfarren gerecht-
fertigt. Kirchenneubauten und Vergrößerung von bereits vorhandenen Bauwerken sollten
vorangetrieben werden. Ab 1934 wurden die Pfarre Neu-Fünfhaus als sogenannte Seipel-
Dollfuß-Gedächtniskirche, die Pfarrkirche zur Königin des Friedens Wien X, die Kirche St. Huber-
tus und Christopherus im Lainzer Tiergarten, der Erweiterungsbau der Pfarrkirche St. Lau-
renz in Währing und die Kaiser-Karl-Gedächtniskirche neu errichtet.756
Der Bau der Seipel-Gedächtniskirche war schon 1933 begonnen worden. Das Anliegen
von Clemens Holzmeister dabei war, mittels einer schlichten Ausgestaltung eine harmo-
nische Einbindung des Sakralbaus in den ArbeiterInnenbezirk zu erreichen. Erst 1934
wurde die Kirche laut Prokop durch die Beisetzung Dollfuß’ „zu einem – wenn auch
bescheidenen – Pantheon des Ständestaates.“757
Robert Kramreiter forderte ebenfalls eine harmonische Einbindung der Großstadtkirchen
in den Stadtraum, sie sollten dabei aber die Besonderheit ihrer sakralen Ausgestaltung
nicht verlieren. Im Mittelpunkt des liturgischen Geschehens sollte aber weiterhin der
Innenraum stehen. Verwirklicht sah Kramreiter diese drei Punkte in seinem Bau der St.-
Josefs-Kirche758 im XXI. Bezirk. Die Gestaltung wurde harmonisch ausgewogen, um die
gesamte Anlage von historischen Stilformen freizumachen und somit eine moderne
Dominante im Stadtteil entstehen zu lassen.759
752 Grassegger, Denkmäler, in: Riesenfellner (Hg.), Steinernes Bewußtsein I, 1998, S. 506 f.
753 Der Augustinerchorherr Johann Parsch war Mitbegründer der Liturgischen Bewegung, die er vor allem publizistisch be-
gleitete. In Anlehnung an das Urchristentum sollten Heilige Messen mit aktiver Teilnahme der katholischen Gemeinde
gestaltet werden.
754 Der deutsche Architekt Böhm gestaltete ab 1919 neue Lösungen im Kirchenbau im Sinne der Liturgischen Bewegung
aktiv mit.
755 Bernard, Feller, Kirchliche Bauten, in: Tabor (Hg.), Kunst und Diktatur, Bd. 1, 1994, S. 208–210.
756 Magistrat der Stadt Wien (Hg.), Drei Jahre neues Wien, 1937, S. 30, 32 f.
757 Prokop, Rudolf Perco, 2001, S. 284 f.
758 Als Patron der Arbeiter, Familien und Werkmänner oftmals für die Namensgebung neuer Kirchen im Ständestaat ver-
wendet, vgl.: Feller, Baupolitik, 1991, Diplomarbeit, S. 104.
759 Pius Parsch, Robert Kramreiter, Neue Kirchenkunst im Geist der Liturgie, Wien, 1939, S. 47–53.
Das Schwarze Wien
Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
- Titel
- Das Schwarze Wien
- Untertitel
- Bautätigkeit im Ständestaat 1934–1938
- Autor
- Andreas Suttner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20292-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 296
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918