Seite - 10 - in Der Bau
Bild der Seite - 10 -
Text der Seite - 10 -
mich gewissermaßen, wenn ich will und des Lebens hier müde bin, jemand zu
sich rufen wird, dessen Einladung ich nicht werde widerstehen können. Und
so kann ich diese Zeit hier ganz auskosten und sorgenlos verbringen,
vielmehr, ich könnte es und kann es doch nicht. Zuviel beschäftigt mich der
Bau. Schnell bin ich vom Eingang fortgelaufen, bald aber komme ich zurück.
Ich suche mir ein gutes Versteck und belauere den Eingang meines Hauses –
diesmal von außen – tage- und nächtelang. Mag man es töricht nennen, es
macht mir eine unsagbare Freude und es beruhigt mich. Mir ist dann, als stehe
ich nicht vor meinem Haus, sondern vor mir selbst, während ich schlafe, und
hätte das Glück, gleichzeitig tief zu schlafen und dabei mich scharf bewachen
zu können. Ich bin gewissermaßen ausgezeichnet, die Gespenster der Nacht
nicht nur in der Hilflosigkeit und Vertrauensseligkeit des Schlafes zu sehen,
sondern ihnen gleichzeitig in Wirklichkeit bei voller Kraft des Wachseins in
ruhiger Urteilsfähigkeit zu begegnen. Und ich finde, daß es
merkwürdigerweise nicht so schlimm mit mir steht, wie ich oft glaubte und
wie ich wahrscheinlich wieder glauben werde, wenn ich in mein Haus
hinabsteige. In dieser Hinsicht, wohl auch in anderer, aber in dieser
besonders, sind diese Ausflüge wahrhaftig unentbehrlich. Gewiß, so sorgfältig
ich den Eingang abseitsliegend gewählt habe – der Verkehr, der sich dort
vollzieht, ist doch, wenn man die Beobachtungen einer Woche zusammenfaßt,
sehr groß, aber so ist es vielleicht überhaupt in allen bewohnbaren Gegenden
und wahrscheinlich ist es sogar besser, einem größeren Verkehr sich
auszusetzen, der infolge seiner Größe sich selbst mit weiterreißt, als in
völliger Einsamkeit dem ersten besten, langsam suchenden Eindringling
ausgeliefert zu sein. Hier gibt es viele Feinde und noch mehr Helfershelfer der
Feinde, aber sie bekämpfen sich auch gegenseitig und jagen in diesen
Beschäftigungen am Bau vorbei. Niemanden habe ich in der ganzen Zeit
geradezu am Eingang forschen sehen, zu meinem und zu seinem Glück, denn
ich hätte mich, besinnungslos vor Sorge um den Bau, gewiß an seine Kehle
geworfen. Freilich, es kam auch Volk, in dessen Nähe ich nicht zu bleiben
wagte und vor denen ich, wenn ich sie nur in der Ferne ahnte, fliehen mußte,
über ihr Verhalten zum Bau dürfte ich mich eigentlich mit Sicherheit nicht
äußern, doch genügt es wohl zur Beruhigung, daß ich bald zurückkam,
niemanden von ihnen mehr vorfand und den Eingang unverletzt. Es gab
glückliche Zeiten, in denen ich mir fast sagte, daß die Gegnerschaft der Welt
gegen mich vielleicht aufgehört oder sich beruhigt habe oder daß die Macht
des Baues mich heraushebe aus dem bisherigen Vernichtungskampf. Der Bau
schützt vielleicht mehr, als ich jemals gedacht habe oder im Innern des Baues
zu denken wage. Es ging so weit, daß ich manchmal den kindischen Wunsch
bekam, überhaupt nicht mehr in den Bau zurückzukehren, sondern hier in der
Nähe des Eingangs mich einzurichten, mein Leben in der Beobachtung des
Eingangs zu verbringen und immerfort mir vor Augen zu halten und darin
10
zurück zum
Buch Der Bau"
Der Bau
- Titel
- Der Bau
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1931
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 29
- Kategorien
- Weiteres Belletristik