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läge gar nichts dazwischen? Noch immer mache ich eine große Arbeitspause
und horche an der Wand und der Graber hat neuerlich seine Absicht geändert,
er hat Kehrt gemacht, er kommt zurück von seiner Reise, er glaubt, er hätte
mir inzwischen genug Zeit gelassen, mich für seinen Empfang einzurichten.
Aber auf meiner Seite ist alles weniger eingerichtet, als es damals war, der
große Bau steht da, wehrlos, und ich bin kein kleiner Lehrling mehr, sondern
ein alter Baumeister und, was ich an Kräften noch habe, versagt mir, wenn es
zur Entscheidung kommt, aber wie alt ich auch bin, es scheint mir, daß ich
recht gern noch älter wäre, als ich bin, so alt, daß ich mich gar nicht mehr
erheben könnte von meinem Ruhelager unter dem Moos. Denn in
Wirklichkeit ertrage ich es hier doch nicht, erhebe mich und jage, als hätte ich
mich hier statt mit Ruhe mit neuen Sorgen erfüllt, wieder hinunter ins Haus. –
Wie standen die Dinge zuletzt? Das Zischen war schwächer geworden? Nein,
es war stärker geworden. Ich horche an zehn beliebigen Stellen und merke die
Täuschung deutlich, das Zischen ist gleichgeblieben, nichts hat sich geändert.
Dort drüben gehen keine Veränderungen vor sich, dort ist man ruhig und über
die Zeit erhaben, hier aber rüttelt jeder Augenblick am Horcher. Und ich gehe
wieder den langen Weg zum Burgplatz zurück, alles ringsherum scheint mir
erregt, scheint mich anzusehen, scheint dann auch gleich wieder wegzusehen,
um mich nicht zu stören, und strengt sich doch wieder an, von meinen Mienen
die rettenden Entschlüsse abzulesen. Ich schüttle den Kopf, ich habe noch
keine. Auch zum Burgplatz gehe ich nicht, um dort irgendeinen Plan
auszuführen. Ich komme an der Stelle vorüber, wo ich den Forschungsgraben
hatte anlegen wollen, ich prüfe sie nochmals, es wäre eine gute Stelle
gewesen, der Graben hätte in der Richtung geführt, in welcher die meisten
kleinen Luftzuführungen liegen, die mir die Arbeit sehr erleichtert hätten,
vielleicht hätte ich gar nicht sehr weit graben müssen, hätte mich gar nicht
herangraben müssen an den Ursprung des Geräusches, vielleicht hätte das
Horchen an den Zuführungen genügt. Aber keine Überlegung ist stark genug,
um mich zu dieser Grabungsarbeit aufzumuntern. Dieser Graben soll mir
Gewißheit bringen? Ich bin so weit, daß ich Gewißheit gar nicht haben will.
Auf dem Burgplatz wähle ich ein schönes Stück enthäuteten roten Fleisches
aus und verkrieche mich damit in einen der Erdhaufen, dort wird jedenfalls
Stille sein, soweit es hier überhaupt eigentliche Stille noch gibt. Ich lecke und
nasche am Fleisch, denke abwechselnd einmal an das fremde Tier, das in der
Ferne seinen Weg zieht, und dann wieder daran, daß ich, solange ich noch die
Möglichkeit habe, ausgiebigst meine Vorräte genießen sollte. Dieses letztere
ist wahrscheinlich der einzige ausführbare Plan, den ich habe. Im übrigen
suche ich den Plan des Tieres zu enträtseln. Ist es auf Wanderschaft oder
arbeitet es an seinem eigenen Bau? Ist es auf Wanderschaft, dann wäre
vielleicht eine Verständigung mit ihm möglich. Wenn es wirklich bis zu mir
durchbricht, gebe ich ihm einiges von meinen Vorräten und es wird
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Buch Der Bau"
Der Bau
- Titel
- Der Bau
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1931
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 29
- Kategorien
- Weiteres Belletristik