Seite - 80 - in Der Prozeß
Bild der Seite - 80 -
Text der Seite - 80 -
7Kapitel
Advokat - Fabrikant - Maler
An einem Wintervormittag - draußen fiel Schnee im trüben Licht - saß K.,
trotz der frühen Stunde schon äußerst müde, in seinem Büro. Um sich
wenigstens vor den unteren Beamten zu schützen, hatte er dem Diener den
Auftrag gegeben, niemanden von ihnen einzulassen, da er mit einer größeren
Arbeit beschäftigt sei. Aber statt zu arbeiten, drehte er sich in seinem Sessel,
verschob langsam einige Gegenstände auf dem Tisch, ließ dann aber, ohne es
zu wissen, den ganzen Arm ausgestreckt auf der Tischplatte liegen und blieb
mit gesenktem Kopf unbeweglich sitzen.
Der Gedanke an den Prozeß verließ ihn nicht mehr. Öfters schon hatte er
überlegt, ob es nicht gut wäre, eine Verteidigungsschrift auszuarbeiten und bei
Gericht einzureichen. Er wollte darin eine kurze Lebensbeschreibung
vorlegen und bei jedem irgendwie wichtigeren Ereignis erklären, aus welchen
Gründen er so gehandelt hatte, ob diese Handlungsweise nach seinem
gegenwärtigen Urteil zu verwerfen oder zu billigen war und welche Gründe er
für dieses oder jenes anführen konnte. Die Vorteile einer solchen
Verteidigungsschrift gegenüber der bloßen Verteidigung durch den übrigens
auch sonst nicht einwandfreien Advokaten waren zweifellos. K. wußte ja gar
nicht, was der Advokat unternahm; viel war es jedenfalls nicht, schon einen
Monat lang hatte er ihn nicht mehr zu sich berufen, und auch bei keiner der
früheren Besprechungen hatte K. den Eindruck gehabt, daß dieser Mann viel
für ihn erreichen könne. Vor allem hatte er ihn fast gar nicht ausgefragt. Und
hier war doch so viel zu fragen. Fragen war die Hauptsache. K. hatte das
Gefühl, als ob er selbst alle hier nötigen Fragen stellen könnte. Der Advokat
dagegen, statt zu fragen, erzählte selbst oder saß ihm stumm gegenüber,
beugte sich, wahrscheinlich wegen seines schwachen Gehörs, ein wenig über
den Schreibtisch vor, zog an einem Bartstrahn innerhalb seines Bartes und
blickte auf den Teppich nieder, vielleicht gerade auf die Stelle, wo K. mit
Leni gelegen war. Hier und da gab er K. einige leere Ermahnungen, wie man
sie Kindern gibt. Ebenso nutzlose wie langweilige Reden, die K. in der
Schlußabrechnung mit keinem Heller zu bezahlen gedachte. Nachdem der
Advokat ihn genügend gedemütigt zu haben glaubte, fing er gewöhnlich an,
ihn wieder ein wenig aufzumuntern. Er habe schon, erzählte er dann, viele
ähnliche Prozesse ganz oder teilweise gewonnen. Prozesse, die, wenn auch in
Wirklichkeit vielleicht nicht so schwierig wie dieser, äußerlich noch
80
zurück zum
Buch Der Prozeß"
Der Prozeß
- Titel
- Der Prozeß
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1926
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Schlagwörter
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155