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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
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Seite - 17 - in Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte

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EINLEITUNG 17 dung einer Einheitssprache als Notwendigkeit angesichts einer dialektalen Zersplitte- rung durch rückständige Provinzialismen sahen. Obwohl inzwischen die De zit-Hy- pothese, nach der Dialekt im Vergleich zur hochsprachlichen Leitvarietät grammatisch mangelhaftausgestattetwäre,wissenschaftlich längstobsolet ist,18 haftetmundartlicher Rede – und mit ihr historischer wie aktueller Dialektkunst – nach wie vor der Ruch des TrivialenundMangelhaftenan. Doch gerade in diesen angeblichen ästhetischen ‚ De ziten` liegen zugleich die ge- nuinen Stärken dialektaler Kunst. Die bekrittelte räumliche und soziale Diversität mündlichkeitsbasierter Varietäten stellt nicht nur ein reiches Reservoir an zusätzlichem Sprachmaterial inFormvonHeteronymen,NischenvokabularoderRedewendungenbe- reit, das den Wortschatz und die Phraseologie der Literatursprache ergänzen kann.19 Sie ist auch Ursprung der dialektalen vis comica, die sich nicht immer in der Lächer- lichkeit der sozial niedriger stehenden ‚ Sprache des Volks` entfaltet. Zum Lachen reizte auch schon in den Anfängen der bewusste Einsatz von Standardsprache als Zeichen des Phrasenhaften, Uneigentlichen, während Dialekt den Eindruck von ‚ Natürlichkeit` oder ‚ Ursprünglichkeit` vermittelt. Die diatopischen, diastratischen und diaphasischen Eigenheiten von Mundart prädestinieren diese zudem zur Darstellung des gesellschaft- lichen Nahbereichs, des Intimen und Privaten (ist sie doch bekanntlich nach Goethe dasElement,„ inwelchemdieSeele ihrenAtemschöpft“ 20).Dabeimusssichdiemund- artliche Formulierung freilich nicht auf das Nicht-Of ziöse beschränken, appellieren dochsprachinhärenteInklusionseffekteaneinGemeinschaftsgefühl,daszuverschiede- nen Zwecken genutzt werden kann. Dialekt hat also durchaus einen Mehrwert gegen- über normierter Schreibsprache: als Mündlichkeits ktion etwa oder zur regio-, sozio- oder emotiolektalen21 Figurencharakterisierung, als Zielgruppenansprache oder ironi- sche Distanzierung, als Spiel mit der Dechiffrierlust der Lesenden oder aufmerksam- keitserregender Verfremdungs- und Deautomatisierungseffekt und vieles andere mehr. Werturteile zu den Anfängen der Dialektkunst basieren jedoch im Wesentlichen noch immer auf Argumenten, die sich auf Gattungsausformungen nach der ‚ Sattelzeit` um 1800beziehen,diespezi schenBedingungenfüreineKunst inbairisch-österreichischer Mundartvernachlässigenundnureinengeringen,unrepräsentativenTeilderMundart- 18 Vgl.HeinrichLöffler:Dialektologie.EineEinführung.Tübingen:Narr2003,S.4f. 19 Bereits ab der Mitte des 17. Jahrhunderts lässt sich dieser Bereicherungsgedanke in den Diskussionen um den Wert regionalsprachlicher Varietäten beobachten. Vgl. u.a. Reichmann, Dialektale Verschiedenheit, S.304f.undGräfe,Dialektliteratur inDeutschlandundItalien,S.25– 33.SeinenkonstruktivstenAusdruck ndet er schließlich in den verschiedenen Idiotika, in denen Provinzialismen gesammelt und sprachtheo- retisch ‚ ursprüngliche` Ausdrücke aufgewertet wurden. Vgl. dazu Walter Haas: ‚ Die Jagd auf Provinzial- Wörter`. Die Anfänge der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den deutschen Mundarten im 17. und 18. Jahrhundert. In: Klaus Mattheier/Peter Wiesinger (Hg.): Dialektologie des Deutschen. Forschungs- stand und Entwicklungstendenzen. Tübingen: Niemeyer 1994, S.329– 365 sowie Walter Haas: Provinzial- wörter.DeutscheIdiotismensammlungendes18. Jahrhunderts.Berlin/NewYork:deGruyter1994. 20 JohannWolfgangGoethe:AusmeinemLeben.DichtungundWahrheit.Hg.vonPeterSprengel.München: dtv1985,S.274. (SämtlicheWerkenachEpochenseinesSchaffens16). 21 Angesprochen ist damit eine Nähesprachlichkeit, die in emotionalen Situationen deutlicher hervortritt – imdramatischenKontextetwabesondersgerne inLiebesszenenoder inWutreden.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 Eine andere Literaturgeschichte
Titel
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Untertitel
Eine andere Literaturgeschichte
Autoren
Christian Neuhuber
Stefanie Edler
Elisabeth Zehetner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20630-9
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
652
Schlagwörter
Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
Kategorien
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800