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LIEDER UND SPIELE DES WEIHNACHTSKREISES 29
Ähnliches nden sich schon hier, auch wenn ihr burleskes Potential noch nicht so kon-
sequent ausgeschöpft wird wie in einzelnen Liedern des 18. Jahrhunderts. Ein weiteres
typischesMerkmal,die topographischeSpezi zierungderSzenerieüberalpenländische
Charakteristika in Naturdetails ( feüchten
), Objekten (
dJoppn ), Arbeitsalltag ( hey,
habä, legts vndä ) oder Bräuchen ( Es schlagt vns den Nandl dMaul trumml darzue ),
zeigt auffällige Parallelen zur volkskünstlerischen Tradition des Krippenbaus, die bis
heuteebendort oriert,woauchdialektaleHirtenliedergesungenwerden.
Das grundlegende Moment regionaler Verortung in diesen Liedern ist jedoch der
mundartliche Ausdruck, dem auch als religionssoziologischer Hinweis wesentliche Be-
deutung zukommt, signalisiert er doch in diesem Kontext eine sehr simple, unmittelbar
vergegenwärtigende Auslegung der Heilslehre, die auch vor Missverständnissen nicht
zurückscheut. Überlieferungsnähere, diskursivere oder auch formelhafte Auseinander-
setzungen mit dem Glaubensgehalt des biblischen Weihnachtsstoffs sind dagegen fast
ausschließlich standardsprachlich gestaltet. Auch in ansonsten dialektal gehaltenen Lie-
dern nden sich dementsprechend bei den bibelnahen Verkündigungsszenen, bei den
Anreden für Mutter und Kind und vor allem bei den abschließenden Huldigungs- und
BittformelnlexikalischundmorphologischstandardnähereWendungen(vgl.
Wirsolln
dich Ehrn / du wolst vns erhörn / o Jungfreulichß Kündt / was lieb ich emp ndt ).
Deutlich wird dies bei expliziter Rollenverteilung. Die gängigste Variante ist das Zwie-
gespräch zwischen Engel und Hirt, wie etwa bei Auf auf ihr hierten aus einer Salzburger
Handschrift aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, wo die Differenz zwischen (oberdeut-
schem) Standard und mundartlicher Rede schon in den Anfangsstrophen des 10-stro-
phigenLiedsdeutlichsichtbarwird:
1
Engl.
aufauf ihrhierten:hörthaufzuschlaffen,
Stehtsaufundlauftnachwethlehem,
dortwerdet ihrnacheurenVerlangen,
anheuteingrosßeswundersehen,
einwunderdergeheimnusvoll,
darobeuchall erfreuensolt. 2
Hierth.
Bozhundertwashöriheutschon,
gehRieblundlögtigschwindan,
Iherepbäsingäesduethsoschenkhling[ä]
als ist entzünt,
mechtainerschiermain
derganzhimmelverbrint.12
2,1 höri]höre ich2,2 lögti ... an]ziehdichan2,3 epbä] irgendetwas
Bleibt in vielen Hirtenliedern die Perspektive des Sprechens so indifferent, dass ein
Sprecherwechsel nicht unbedingt notwendig ist und das Lied somit auch von einem
einzelnen Sänger vorgetragen werden kann, wird in Auf auf ihr hierten die dialogische
Struktur imkonsequentenWechselderSprecherüberallezehnStrophenaufrechterhal-
ten. Momente der zweiten und dritten Motivgruppe werden über die Verkündigungs-
situation hinaus durch vage Vorausdeutungen und Vergegenwärtigungen eingearbeitet.
DramaturgischüberzeugendersindfreilichdialogischeLieder,die imraschen,zumTeil
stichomythischenWechselderReplikensituativeAnschaulichkeitundLebendigkeitver-
mitteln,wieetwadasbisheuteinWeihnachtsmessenzurAufführunggebrachteLiblsolst
12 UniversitätsbibliothekSalzburg,MI365, f. 12v 13r.
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen