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BIBELHUMORESKEN 39
Bibelhumoresken
Die starke gurative Verortung der Menschwerdungsmotivik im bäuerlichen Bereich
unddie langeTraditionderszenischenAusgestaltungdieseszentralenchristlichenMys-
teriums im Alpenländischen prädestinieren mündlichkeitszentrierte regionale Sprach-
formen für die literarische Ausgestaltung der Weihnachtsliturgie. Im Bereich des geist-
lichen Lieds und Spiels allerdings ist die hier zu beobachtende intensive Verwendung
von Mundart keineswegs repräsentativ, mehr noch: Betrachtet man das überlieferte
Korpus, scheint außerhalb dieses besonderen Themenkreises die dialektale Gestaltung
eineabsoluteRanderscheinungdarzustellen.Darüber,wiestarkhierdieundurchsichtige
ÜberlieferungslagedasBildderzeitgenössischenProduktions-undRezeptionsgegeben-
heiten verzerrt, können zwar nur Spekulationen angestellt werden. Die Diskrepanz in
derZahlderÜberlieferungsträger ist jedochumsoauffälliger,alsausäquivalentenpara-
liturgischenFeldernmiteinerähnlichenjahrhundertelangenTraditiondesspielerischen
Nachvollzugs von Szenen aus der Heiligen Schrift kaum eindeutig dialektale Fassungen
aufunsgekommensind.
Im weiteren Sinn noch dem Weihnachtskreis zuzuordnen sind die im süddeutschen
Raum beliebten volkstümlichen Adam-und-Eva-Spiele`, die sich aus dem seit dem
14. Jahrhundert bezeugten Paradeisspiel` entwickelten.39 Als Vorspiel zur Erlösungsge-
schichte hatten solche szenischen Darstellungen des Sündenfalls traditionell ihren Platz
imAdvent,wosieallerdingsdurchihrehäu gunseriöseAusdeutungdesbiblischenGe-
schehens in späterer Zeit von der Obrigkeit nicht gern gesehen waren. So moniert eine
kaiserlicheVerordnungvom19.Dezember1719,
mit was ärgerlicher Aufführung verschieden Dienst-lose Bursch bey der heran-nahenden Heil.
Weyhnachts-Zeit das so genannte Adam und Eva- wie auch das Bauern- oder Hochzeit-Spiel in
denen Häusern vorstellen: benebst mit ungestümmen Blasen und Leyern, auch ungebührlichen
Springenund Tantzenalle PlätzundGässen biß inden spatenAbend abzugehen:unddie allhie-
sige Inwohnerandurchzubeunruhigensichunterfangenhaben.40
Fortan sollten diese Spiele nur mehr in den drei letzten Faschingstagen zu sehen sein.
Dass solche Laienaufführungen, mit denen sich in den Wintermonaten
dienstlose` Ar-
beiterundBauernAlmosenzuverdienenhofften,durchaus imdialektalenoderzumin-
destdialektnahenGewandpräsentiertwurden,deuteteine ironischeZwischenszenean,
die sich in Wolfgang Rinswergers (1658 1721) 1691 auf der Salzburger Universitäts-
bühneaufgeführtemlateinischemWeihnachtsspielChristusFabriFilius ndet.41 Fürdie
Darstellung des nur anzitierten Sündenfall-Motivs wird im Randkommentar nämlich
39 Vgl.u.a.Weinhold,Weihnacht-SpieleundLieder,S.293ff.
40 Mathias Fuhrmann: Alt- und Neues WIEN, Oder Dieser Kayserlich- und Ertz-Lands-Fürstlichen Resid-
entz-Stadt Chronologisch- und Historische Beschreibung Von den mittleren Biß auf gegenwärtige Zeiten.
AnderterTheil.Wien:Prasser1739,S.1396f.
41 Vgl. Hans Pörnbacher/Benno Hubensteiner (Hg.): Bayerische Bibliothek. Texte aus zwölf Jahrhunderten.
Bd.2:DieLiteraturdesBarock.AusgewähltundeingeleitetvonHansPörnbacher.München:Süddeutscher
Verlag1986,S.538f.
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen