Seite - 68 - in Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
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68 GLAUBE UND ABERGLAUBE
das Zimbrische an einen älteren Sprachstand an als die bairischen Dialekte des Stamm-
gebiets zur gleichen Zeit.95 Charakteristisch ist zudem die mediale Fokussierung des
Dialekts, der nach Karin Heller als fast ausschließlich mündlich gebrauchtes Kom-
munikationsmittel durch Jahrhunderte hin überlebt 96 habe. Dementsprechend dürftig
istauchdieÜberlieferungslage.97
Im uns bekannten zimbrischen Liedgut sind die geistlichen Lieder dominant ver-
treten. Zwar waren Latein und Italienisch die of ziellen Kirchensprachen, doch gab es
offenbar Bestrebungen, religiöse Inhalte in der Volkssprache zu transportieren.98 Ein
kurzerAuszugauseinemLobgesangsolleinenexemplarischenEindruckdieserArtvon
geistlicherDichtunggeben(anbeidieÜbertragungvonHeller):
Bennegherüstet
DarGottmit tuncheln
Bolchen,unveure,
PreghtetmeTondere,unvolghetdear
Unvunmepodeme
Aufbûûlt,untrûbetdez tiifemear;
Unbéardigroozen
Urranetúmmele;
Unbearn'almaghtighen
Pallenarmz'inthaltenberguutunstargh?
Beardihefteghen
Schittenba sarnt
Kentzudemarmuste
Baighenbearmôegte inkeen,bizzanz'margh.
NetvundenReghorsten
Hougavortraghe,
Netvundenstarghen
Gighentenzouightighkoffertigamaght
Diaiseranrucken,
Dieckelnepetten
Biabôera inamebinte
Biabachs immevéurezorloentunzermaght. Wenngerüstet
derGottmitdunklen
WolkenundFeuer
sprichtmitDonner,gefolgt
vonseinemPolternerschüttertdieErde
undvomBodenaufgewühltundtrübtdas tiefe
Meer.
Undwerdiegroßen
schrecklichenGetöse
undwerdenallmächtigen
starkenArmeinhaltenkann,wer istgutund
stark?
Werdieheftigen
Blitze,diedazucken
undzurArmbrustwerden,
werkannweichenundihreGrenzenwissen?
NichtvondenRechten
hohesErdulden,
nichtvondenstarken
Gigantenzeigt sichdiehoffärtigeMacht,
dieeisernenRücken,
diestählernenBrüste?
WieeinNebel imWind,
wieWachs imFeuervergehenundvernichtet
werden.99
Jenseits der zimbrischen Gebiete fand Dialekt auch im Dienste der unterhaltsamen
Lehre, Erbauung und Ermahnung der christlichen Unterschichten ein breites Anwen-
95 Heller bemerkt zur Sprachform, sie könne
weder dem Alt- noch dem Mittelhochdeutschen zugeordnet
werden, [sei] aber auch lange nicht in jeder Hinsicht neuhochdeutsch (Karin Heller: Barocke Dichtung
ausden7Gemeinden:ZimbrischeTexteausdem17.und18. Jahrhundert.Wien:VWGÖ1988,S.1).
96 Ebda.,S.6.
97 Hinsichtlich des soziokulturellen Status der Sprache ist hier freilich mitzubedenken, dass das Zimbrische
neben das Italienische zu stellen ist, während sich das Bairische im Kerngebiet von einem Standard (bzw.
einerSchriftsprachennorm)abhebt,dernurskalareUnterschiedeaufweist.
98 Heller,BarockeDichtung,S.6f.
99 EditionundÜbertragungzitiertaus:Heller,BarockeDichtung,S.62ff.;eshandeltsichumdiedortalsVer-
sion B geführte Variante. Der Lobgesang ist, wie es einleitend heißt, 1796 in Asiago entstanden und dem
dortigenPfarrer JosefStrazzaboscogewidmet.
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen