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KRITISCH-KOMISCHES ZU GLAUBENSLEHREN, -LEUTEN UND -DINGEN 81
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Na,na,meinHerrCapolon
ihrseydasolcherMonn,
denich letztenmuß
fallenzuFuß,
undbittenumPardon,
daßich imHimmelkomm
wärmirdergrößteSpaß,
wannichschondrinnensaß,
hab icheuchunrechtgethan
verzeyhtmirsHerrCapolon,
seydsonsteingrosserHerr
ineurerLehr,
unserCapolon
isthaltaMann,
denichbeymeinerTreu
nicht feindseynkan.112
1,4Capalon]Kaplan1,5wärla]wahrlich2,5AgnesDeh](lat.)AgnusDei(LammGottes)2,8dasunsistNoth]
hier wohl in ironischer Weise verwendet: das wir notwendig haben 2,12 Ballen-Strauß] hier als bildliche Be-
zeichnung für den Weihwasserwedel 3,4 z'p ana] zu ennen, zu weinen 3,7 als] hier: alles 4,16 herkampeln]
kampeln: kämmen, d.h. hier etwa:
den Kopf waschen` 5,3 Adams Fleck] bildlich für die Erbsünde; die Taufe
istdas Hinwegwaschen` desAdams ecks
ObindiesemLiedmitseinergstanzlähnlichenMetrikdieTätigkeitdesKaplansbeialler
Hänseleianerkennendhervorgehobenwerdensolloderobauchdiescheinbar lobenden
Passagennurironischgemeintsind, istschwerzusagen.Eindeutigdesavouierendistzu-
mindestderBerichtüberdieSpielfreudigkeitdesKaplans;auchimZusammenhangmit
seinen Predigten wird impliziert, dass dieser die Untaten, die er so bewegend schildert,
wohl selbst begangen haben muss. Bezeichnenderweise sind in einer Variante aus der
EbermannstädterLiederhandschriftgenaudiesePassagenausgespartundanderespötti-
scheWendungendeutlichentschärft.113DieÜberlieferungssituationdesLiedslegtnahe,
dass es bereits im zeitgenössischen Kontext für unterschiedliche Aussagen funktionali-
siertwurde, sowohlals liebevolleNeckereialsauchalsboshafterSpott.
Explizite Personalsatiren auf Geistliche haben sich nicht nur in der Dialektkunst
selten schriftlich erhalten oder wurden durch Tilgung der betreffenden Namen ent-
schärft. Wäre nicht einer der späteren Kopisten indiskret gewesen, wüssten wir auch
nicht, dass Was habts halt von än gwissen Herrn aus der Feder des Stadlschreibers Peter
schemabesserentsprechend:
denderHerrPfarrer,zualsbrauchäka (BayerischeStaatsbibliothek,Cod.
germ.7340,Teil2,S.123).
112 Sechs schöne gantz neue Weltliche-Lieder, Das Erste. Adjeu mein Engels Kind, ich muß etc. Das Andere.
Ach,ach!meineliebeMutterwannetc.DasDritte.BrichFelsenentzwey,entzwey,sprengetc.DasVierdte.
Buba,wasschenktsmirwohl,wannetc.DasFünffte.Nurlustig,nurlustig, istallweiletc.DasSechste.Nun
meinHerz istmirerlaubet,diretc.Gedruckt indiesemJahr[o.O.,um1770].
113 Vgl. Rolf Wilhelm Brednich/Wolfgang Suppan (Hg.): Die Ebermannstädter Liederhandschrift geschrie-
ben um 1750 von Frantz Melchior Freytag Schulrektor zu Ebermannstadt (Staatsbibliothek Bamberg
Msc.misc. 580a). Deutsches Volksliedarchiv Freiburg. Kulmbach: Freunde der Plasseburg E.V. 1972.
(Schriften für Heimatforschung und Kulturp ege in Ostfranken 31) S.99f., hier 99. Die Vermutung von
Brednich/Suppan, dass das Lied ein in Ebermannstadt verfasstes Gelegenheitsgedicht sei und tatsächlich
aufeinenbeliebtenKaplanBezugnehmenkönnte(vgl.S.22f.),musszumindestangezweifeltwerden.
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen