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84 GLAUBE UND ABERGLAUBE
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'sGreßl, 'sPfaidlgschwindhernemmä
'sKindumdräht,undsLiechtöddHend
Hat'sdäGfadäkämbekemmä,
HatdöKindstäf schanänEnd.
Hanmäsaufschreibn lassenmüessen,
funfzöhnGroschenwärdäLohn,
ZöhndäPfarrähatzugniessen,
FünfdäMeßnätraitdävon.115
2,3 Pfaid] Hemd sänd Falten d'rinnä] gemeint ist das Chorhemd (Rochett), ein hüft- bzw. knielanges wei-
ßes, gefälteltes Obergewand 2,5 lange Guerten] Stola, schalartiges, knielanges Kleidungsstück als Zeichen des
priesterlichen Amts; der Priester trägt Talar, Chorhemd und Stola bei der Sakramentspendung 2,8 Gfadä]
Taufpate wie soll haißen 's Kind] die Frage nach dem Namen des Kindes beim Empfang an der Kirchentüre
ist erster Teil des Taufritus 3,1 a¯blasen] ab dem 4.Jh. für Kindertaufen belegtes Ritual 4,2 schnopftabäck]
gemeint ist das geweihte Salz 4,5 's Kind angschmiert] Salbung mit dem Katechumenenöl 5,8 zöchä] zehn
6,7dakemmä]erschrecken,Angstbekommen6,8anghöbt]anheben:anfangen,machen7,1Greßl]zweiDeu-
tungen möglich: 1) Chrisam (Salböl), 2) Krösenhemd (Taufhemdchen) 's Pfaidl gschwind hernemmä] nach
der Chrisamsalbung wird über den Täufling ein weißes Taufhemd gelegt als Zeichen der wiederhergestellten
Unschuld 7,2 s Liecht öd d Hend] zum Abschluss der Feier wurde dem Täufling eine Kerze übergeben mit
demAuftrag,dasLichtdesGlaubensstets leuchtenzu lassen7,8 trait] trägt
EinesehrdankbareKonstellationfürhumoristischeEffekteistauchdasprekäreVertrau-
ensverhältnis inderBeichtsituation.DennbeidiesemformalisiertenVieraugengespräch
mit dem Ziel der Absolution können aufgrund der verbindlichen Geheimhaltung Ver-
fehlungenausgesprochenwerden,dieimAlltagsdiskursnichtohneweiteresthematisiert
würden. So wird der Zuhörer in diesen Liedern zum Ohrenzeugen von Peinlichkeiten,
mangelnder Reue und verweigerter Wiedergutmachung, ja von bewusster Provokation
desPriesters,demlustvoll jeneDingeunterbreitetwerden,denenerentsagensoll. InDer
beichtente Baurens Knecht, erstmals in einer klösterlichen Sammelhandschrift überlie-
fert, ist es tatsächlich ein Zwiegespräch, in dem der Knecht testet, wie weit er in seinen
Geständnissen gehen kann, und der Kaplan mit Zureden, Drohungen und schließlich
ZusagendemBeichtkinddenvorgeschriebenengutenVorsatzabzunötigenversucht:
1DerKnecht.
HerstdusKaplan,
willdirmeinbeichtvertrauen,
mörckauf thue eissigschaun;
was ichhabthan,
es istmälaid
das ich fastalliTag,
soviel Ikinnahab,
geschwörtaufmeinAid
Iwoltägernmehrsagn,
fürcht,mögstmischlagn
drumIdichBitt,
erzürndichnänit. 2DerKaplan.
HertzliebstesKind,
wannduzurBeichtwillstgehn,
muestalles feinredlichbstehn
undzeigenan,
wasduhastgethan,
sonstwirdesgeltennit,
auchnurein falscherTritt
vorgottesThron.
Meinsagwie lang istsher,
dasduhastBeichtnichtmehr
Bsinndichnurwohl,
Beichtwieesseinsoll.
115 Lindemayr,Dialektlieder I,S.83 87.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen