Seite - 96 - in Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
Bild der Seite - 96 -
Text der Seite - 96 -
OpenAccess © 2019byBÖHLAUVERLAGGMBH&CO.KG,WIENKÖLNWEIMAR
96 KRIEG UND FRIEDEN
Durchgehend dialektal gestaltete Texte zu konkreten Kriegsereignissen begegnen dage-
gen erst ab der zweiten Türkenbelagerung von 1683, dafür zu diesem Zeitpunkt bereits
inunterschiedlichenliterarischenKontexten.Abdem18.Jahrhundertsinddannfüralle
größeren kriegerischen Auseinandersetzungen im süddeutschen Raum auch dialektale
Texte überliefert, die in unterschiedlicher Weise Stimmung machten und Partei ergrif-
fen, an Zusammengehörigkeitsgefühle und Vernunfthaltungen appellierten, die Feinde
diffamierten und die Eigenen stilisierten, die Informationen ebenso parteiisch vermit-
telten wie lterten und in den meisten Fällen als gezielt gesteuerte Propaganda für und
widereinebestimmteSacheentstandenwaren.3
Die Hauptaufgabe des Dialekts liegt dabei sicherlich darin, die Überzeugungskraft
derTextedurchdieEinnahmeeiner ngierten Perspektivevonunten` zuunterstreichen:
Nicht die Stimme der Obrigkeit sollte durch die Texte sprechen; vielmehr sollte die ein-
fache Bevölkerung in den dialektalen Texten das Vertrauen in die eigene Streitkraft, die
LoyalitätzudenHerrschern,dieFreudeüberdenSiegdurch
einenvonihnen` vermittelt
bekommen. Immer wieder lässt sich auch das Bemühen beobachten, an angenommene
Befürchtungen und Zweifel in der Bevölkerung anzuschließen und diese durch die Fi-
gureines
ebenbürtigen` SprechersausdemWegzuräumen.AbernichtnurimVersuch,
ZuversichtundSiegesfreudezuverbreiten,wurdeDialektalsAnschlussan lebensweltli-
ches,alltäglichesSprecheneingesetzt.Zentral ineinerVielzahlanKriegsliedernistauch
derSpottüberdieGegnerunddieVerhöhnungderFeinde.AuchindiesemZusammen-
hang war es Dialekt als Sprache der Nähe und der Mündlichkeit eine vergleichsweise
weniger regulierte, an Konventionen gebundene Sprachform , durch den man beson-
ders erbarmungslos auch sprachlich gegen den Feind ins Feld ziehen konnte. Quer zu
diesen unmittelbaren Aufgaben, die Dialekt in Kriegs- und Propagandaliteratur des 17.
und 18. Jahrhunderts erfüllte, liegen weitere, mittelbarere Funktionen, denen die Texte
dienen konnten: der sukzessive Auf- und Abbau von Feindbildern, die Stereotypisie-
rung gegnerischer Völker, die Ausbildung eines kampfbereiten Patriotismus, aber auch
dieDiskussionüberKommunikationswege,überwahreundfalscheInformationenzum
Kriegsgeschehen oder die Entlarvung gegnerischer Propaganda. All diese Aspekte bil-
den auch die Analysegrundlage für jene systemaf rmativen` Texte, die sich thematisch
von der Türkenbelagerung 1683 bis zu den Koalitionskriegen Ende des 18. Jahrhun-
3 ZahlreichedialektaleArbeiten ndensichbereits indengoßenSammlungenvonDitfurthundHartmann
und sind zum Teil auch nur mehr dort greifbar, vgl. Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Die historischen
Volkslieder des Bayerischen Heeres von 1620 1870. Aus iegenden Blättern, handschriftlichen Quellen
und dem Volksmunde gesammelt und herausgegeben. Nördlingen: Beck 1871. Franz Wilhelm von Dit-
furth: Die historischen Volkslieder der Zeit von 1648 bis 1871.Bd.1: Die historischen Volkslieder der Zeit
von 1648 bis 1756: Die historischen Volkslieder vom Ende des dreißigjährigen Krieges, 1648, bis zum
Beginn des siebenjährigen Krieges, 1756. Heilbronn: Henninger 1877.Bd.2: Historische Volkslieder der
Zeit von 1756 bis 1815: I. Die historischen Volkslieder des siebenjährigen Krieges, 1756 1763. II. Die his-
torischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Krieges, 1763, bis zum Brande von Moskau, 1812.
Berlin: Lipperheide 1871/72. August Hartmann (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom
sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert. Bd.2: Von Mitte des siebzehnten bis zu der des achtzehnten
Jahrhunderts.München:Beck1910.
zurück zum
Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen