Seite - 106 - in Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
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106 KRIEG UND FRIEDEN
diffamierten typischen Haupt- und Staatsaktionen` des professionellen Theaters der
Zeit (und somit auch von den bekannten, von Rudolph Payer erstmals edierten 15 Wie-
ner Haupt- und Staatsaktionen) unterschied es sich durch den spezi schen Zeit- und
Ortsbezug,derdenBearbeitungenitalienischerOpernlibrettimit ihremexotischen,zei-
tentrückten Setting fehlt. Vielmehr hat man es hier mit einem vaterländischen Drama
zutun,das imZeichenvonHerrscherlobundChristenpreissteht.Dabeiwerden wenn
auch nicht immer akkurat die historischen Ereignisse von der Besetzung bis zum ent-
scheidendenGegenschlagundderBefreiungmitallenrelevantenhistorischenPersonen
detailreichausgeführt.DieSzenenwechselnzwischenderSeitederTürkenundjenerder
Österreicher mit diversen Lagebesprechungen und Sitzungen, Botenentsendungen und
dem allmählichen Zusammenschluss der nahenden Unterstützungstruppen; aber auch
Lebensmittelknappheit, Versorgungsprobleme oder Ängste der Bevölkerung werden in
diesem Kaleidoskop des großen Augenblicks der jüngeren Nationalgeschichte 21 bei-
nahe dokumentarisch ins Bild gesetzt. Das Bild der Türken entspricht dabei jenem, das
auchdie lyrischenBearbeitungenliefern:Siewerdenals tyrannisch,unerbittlich, furcht-
ein ößend grob und roh dargestellt, auch wenn der Text nie Zweifel an der Überlegen-
heitderchristlichenVerteidigerlässt.InszeniertwirdvorallemeinereligiöseOpposition
zwischen Christentum und Islam: Die Stärke, Macht und Beständigkeit der Christen,
durch die der Feind letztlich niedergerungen und in die Flucht geschlagen worden sei,
speisesichselbstverständlichausdemrechtenGlauben,soderTenordesStücks.Gesiegt
wordenseiauchundvorallemimNamenundzuEhrenGottes.
Dialekt kommt über die Figur des Hanswurst ins Spiel, dessen Rede anders als in
jenen frühen Staatsaktionen` aus Stranitzkys Umfeld auch schriftlich immer wieder
deutlich regional markiert wird. Dies mag mit der zweiten Eigentümlichkeit des Stücks
in Verbindung stehen: Hanswurst tritt auch wenn er im Verlauf des Stücks die ihm
typische Dienerposition einnimmt und seine Typenstilisierung beibehält ( ich bin ein
barocken Welttheater bis zum Tode Nestroys. Wien: Schroll 1952, S.997); darin folgt ihm auch Janke, die
aufDiskrepanzenzwischendiesemundanderenStückenausdemUmfeldStranitzkysinHinblickaufStoff,
Figurenanzahl,DekorationenundArtderEinbindungdesHanswursthinweist (vgl.PiaJanke:DieWiener
Haupt-undStaatsaktionendes frühen18. Jahrhunderts. In: JahrbuchderösterreichischenGoethe-Gesell-
schaft 108/109/110 (2004/2005/2006), S.259 271, hier 264). Nachdem in der jüngeren Forschung etliche
Stücke des Wiener Haupt- und Staatsaktionen`-Konvoluts genetisch verortet werden konnten (vgl. Bärbel
Rudin:HeinrichRademin,HanswurstsSchattenmann.Jurist,Bühnenchef,Stückeschreiber Versuchüber
eine Gründer gur des Wiener Theaters. In: Maske und Kothurn 48 (2002), H. 1 4: Theater am Hof und
für das Volk. Beiträge zur vergleichenden Theater- und Kulturgeschichte. Festschrift für Otto G. Schind-
ler zum 60. Geburtstag, S.271 301), schließt diese Diskrepanz freilich nicht die Autorschaft Stranitzkys
aus. Gegen den Hamburger Heinrich Rademin (1674 1731), den Schindler als möglichen Autor ins Spiel
bringt, spicht möglicherweise die dialektale Anlage der Hanswurst gur (vgl. dazu Otto G. Schindler: Ra-
demin,Heinrich. In:RudolfFlotzinger(Hg.):ÖsterreichischesMusiklexikon.Bd.4:Ober Schwaz.Wien:
Verl.derÖsterr.Akad.derWissenschaften2005,S.641).Vgl.weiterauchWalterLehr:DieszenischenBe-
merkungen in den Dramen des Altwiener Volkstheaters bis 1752. Wien 1965 [Diss.]. Helmut G. Asper:
Hanswurst.StudienzumLustigmacheraufdemdeutschenTheaterim17.und18.Jahrhundert.Emsdetten:
Lechte1980,S.165,382f. BeatrixMüller-Kampel:Hanswurst-Stranitzky.ZurRevisionseinerBiographie.
In: LiTheS. Literatur- und Theatersoziologie. Forschung, Dokumentation, Lehre. Webportal: http://lithes.
uni-graz.at/forschung.html(letzterZugriff am11.05.2018),S.6f.
21 Hugo Aust/Peter Haida/Jürgen Hein: Volksstück. Vom Hanswurstspiel zum sozialen Drama der Gegen-
wart.München:Beck1989. (ArbeitsbücherzurLiteraturgeschichte)S.54.
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen