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MEDIALE SCHLACHTEN UND DIE
WAHRHEIT` DER PROPAGANDA 121
eigentlichen Botschaft, auch in ausweglosen Situationen auf Gott und das Vaterland
zu vertrauen und für dieses zu kämpfen, tat dies keinen Abbruch. Es ist zu vermuten,
dass der unbekannte Autor des Propagandablatts nicht aus Tirol stammte und von den
Vorgängen wohl auch nur über diverse Kriegsrelationen` informiert war. Ein Hinweis
dafür ist zumindest die verwendete Mundart: ein einigermaßen neutrales Mittelbai-
risch, das nur mit einigen Frikativa vorwiegend in den Personennamen (
Chrischtl
,
Barschtl ) Tirolerisch simuliert. Auch die Gegenseite war überzeugt, dass hinter dem
höchst erfolgreichen Pasquill der Wiener Hof stand. In seinen Verträulichen politisch-
und Historischen Discursen erbittert sich etwa der Bayer P. Mannhart Kriegensdorffer
(wohleinPseudonym)überderartigeSchmähschriftenundfordertentsprechendeKon-
sequenzen:
Bey welcher Beschaffenheit ich nit begreiffen kan / was man zu Wienn für Ursach habe, von
der Chur-Bayrischen Entreprise in Tyrol und von der gantzen unserer Nation vorderist aber
von unserm in Wahrheit- und der Sach selber Königlichen Helde / so schimpfliche Pasquill ins
Kupfer- und im Truck kommen zulassen / als man diser Tagen, in 3.erley Stucken zusehen und
zulesengehabt:derenzweydemTyrolerbaurnMarthinLainniger-unddas3.tedemsogenannten
Christl Troyling zuehren der Chur-Bayrischen Armée aber zum Hohn verfertigt und concipirt
worden; Darfür denen Authorn gewiß niemand anderer als der Hencker den Lohn geben sollte:
Wiewohl / vor etwan 24. Stunden ein fürnehmer Patriot hierüber also gescherget [sic]/ daß man
die aberwitzigen Wienner nur immer mit papierenen Pralereyen fechten lassen unsers theils
abermitLandund-Vestungeinnemmenwackerfortfahren undauffdie letztachtgebensollte/
wer /außdisenbeedenKämpfern,dasGewinnetdarvontragenwerde[.]45
Die angesprochenen und noch weitere Flugblätter46 belegen, wie wirkungsmächtig die
agitative Mythenbildung war. Allein schon der Muster-Platz hat zumindest zwei Auf-
lagen (∼ 1500 Exemplare) erlebt, wobei man sich die Mühe machte, den originalen
Kupferstich nachzustechen.47 Mit dem 40-jährigen, kaisertreuen Christl Troyling schuf
man dem älteren Laninger ein gleichfalls ktives Bauernführer-Pendant, das sogar eine
Audienz in Wien erhalten haben soll; beide Figuren hatten als historische Persönlich-
keitenverkannt einreiches literarischesNachleben.48
45 Nutz- und Lust-erweckende Gsellschafft Der Vertrauten Nachbarn am Isarstrom: Das ist: Etlicher in
selbiger Chur-Bayrischen Re er wohnender guten Freund. Verträuliche- politisch- und Historische Dis-
cursen über allerhand Zeit-läuf ge Begebenheiten, und dardurch veranlassende Materien. Vierter Theil.
AußgefertigetVomHerrnP.MannhartKriegensdorffer.[München:]UndGetrucktimJahrdeßHeyls1703,
S.227f.
46 Zu nennen sind u.a. zwei illustrierte Blätter zur Befreiung der Festung Rattenberg, eines davon mit deut-
schem und niederländischen Bericht sowie eine satirische
Grab-Schrifft / Welche der Helden-müthig-
Tyrolerische / seinem Aller-Genädigesten Keyser / und Herrn / Herrn / etc. etc. träu-bleibende / Bauer
MARTIN LANINGER/AlseinAnführerseinerMit-Gesellen/denen/mitFrantzosenbehafften/Bäyren
(ihren andern Nach-folgern zu einem NB.) so / gleichsam nach Art deß alten Testaments / meistens von
sothanenen zwischen denen Tyrolerischen Bergen aller-jüngest versteiniget worden / verabfasset haben
solle , in der die gefallenen Bäyrische[n] Soldaten,/ Voll mit Frantzosen-Gifft beladen [f. 1r] verspot-
tet werden. Vgl.auch Bayerisch-Tirolische G'schichten ... eine Nachbarschaft. Bd.1: Katalog. Innsbruck:
LandesmuseumFerdinandeum1993,S.168 170.
47 Für diesen Hinweis sei Marko Ikonic´ herzlich gedankt. Der vermutlich ältere Druck zeigt die Kämpfer-
gruppe mit grimmigeren Gesichtern; das auch online einsehbare Exemplar der Sächsischen Landesbiblio-
thek Staats-undUniversitätsbibliothekDresdengibt sichetwaswenigermartialisch.
48 So etwa in Joseph Anton Destouches' Arco-Drama (1806), in Johann Kalchbergs Erzählung Die tapferen
Tiroler (nach1810)oder ineinemDialektgedichtKarlvonLutterottis (1854).
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen