Seite - 123 - in Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
Bild der Seite - 123 -
Text der Seite - 123 -
MEDIALE SCHLACHTEN UND DIE
WAHRHEIT` DER PROPAGANDA 123
Begleitet wurde die Rekrutierung mit massiver medialer Agitation, um die Bauern,
die aufgrund der unzähligen Steuerlasten, Dienste, Zwänge und Auflagen (v.a. etwa die
Wildhegebestimmungen) nicht ohne weiteres gewillt waren, für ihre Herrschaft das Le-
ben zu riskieren, auf Linie zu bringen und gegen den Feind einzuschwören. Auch hier
wareseinewirksameStrategie,mitberichtetenGreueltatendieunmittelbareBedrohung
von Leib und Leben vor Augen zu führen, zugleich aber auch mit jüngsten Erfolgen
gegen die bayerischen Aggressoren Kampfbereitschaft zu schüren. Ländlä Sittlä, der
erste Teil einer inhaltlich und formal miteinander verknüpften dialektalen Propaganda-
schriftserie, wird bereits Ende Februar 1704 unter die Leute gebracht worden sein. Der
AutordesmiteinemmartialischenKupferstichversehenendoppelseitigenDrucksbleibt
anonym; seine Ermahnung` zur Einigkeit im Kampf für das Vaterland, die Elemente
des Propagandalieds mit Kriegsberichterstattung im oberösterreichischen Basisdialekt
verbindet, legt er dem (natürlich ktiven) Gaspoltshofer Bauernburschen Simändel (Si-
mon)Frieser indenMund:
AUffBuebma/auffNachbarn/auffalleszumStreitt /GehHänßl / läff Jodl / rennStef /spring
Veit / Und merckt auff mi / i bitt enck von Hertzn scho / folgt mein Rath mit der That / wail
mir jetzmitAugengsehahambd/wiedaßderBayrfürst in insernLandsogrobhatghaust /daß
aim der Buckl schaurt / und mit insern Buema so schändler umbganga / daß mas ä weder von
Türckn / und Haydn nit gsehä und ghört hat / etla hat er schinden lassen / etla Pulfer ins Maul
gsträht und afften azündt / etla in die Donau nacket gsprengt / und derfroissen lassen; ist das ä
redlä? warst ä weng; wir wemb recht zu der Würthschafft seha / liebe Buebma / und Brüda last
den Spott / Noth / und Todt inserer Lands-Leuth nit ligen äff enck / und was wurd der Kayser
sagen darzu? gelts Er wurd ins bald vorupffa und straffa / daß insere Vorfahrer mit dem Stepha
Fädinger wieder iem auffgestanden / und rebellisch gwesen / der ins dö soy lebta dergleiha Mar-
ter nit antha hat / und solten ins iez an seim und insern so hart und groben Feind nit recha /
wär main Ayd ä Schand insern gantzen Nachkömblä / drumb bsints enck nit lang / dann jetzt ist
die beste Zeit / daß mir dise Schartn wider außwetzen könna / und insern alten ehrlinga Nahma
erlanga / wann mir den Bayrischen Baurn Tyran / das Loch verrenna / und nit äff Wienn ahi
lassen;drumbrichtsenck/ folgtsmir /undlastdenTyrolarndieEhrnitgarallai/ [...]50
Buebma] Burschen, junge Männer Jodl] Kurzform für Georg enck] euch gseha hambd] gesehen haben aim
derBucklschaurt] ihmdasEntsetzenkommtschändler] schändlichetla]etliche,einigegsträht]gestreutaff-
ten]dannazündt]angezündetderfroissen]erfrierenäredlä]auchredlichwarst] (wohl fälschlichfür
warts`:)
wartet wemb] werden äff enck] auf euch vorupffa] etwas vorhalten Stepha Fädinger] charismatischer Ober-
hauptmann der aufständischen Bauern im oberösterreichischen Bauernkrieg gegen die bayerische Besatzung
1626dö] fälschlichfür
do`:dochsoylebta] seinLebtag,zeit seinesLebensantha]angetanmainAyd]Beteue-
rungsformel Nachkömblä]Nachkommen äffWiennahi]nachWienhinab
ObderVerweisaufdie Schande`, imBauernkrieggegendenKaiser (eigentlichaberge-
gendietyrannischebayerischeBesatzungunterGrafHerberstorff)aufbegehrtzuhaben,
tatsächlichmotivierendwar,darfangesichtsderPopularitätdesBauernführersFadinger,
dernochimmerinakzeptablenLebensbedingungenfürdenbäuerlichenStandundnicht
zuletzt aufgrund des hohen Anteils an Kryptoprotestanten in Oberösterreich durchaus
angezweifelt werden. Wirksamer war sicherlich die plastische, quasi-simultane Schilde-
rung,wasmanvondengrausamenFeindenzuerwartenhatteundwiesiezubekämpfen
50 Ländlä Sittlä. Das ist: Ein guthertzige / und hertzhaffte Ermahnung eines Ländlerischen Bueben auß der
Casperhoffer Pfarr Nahmens Simändel Frieser An seine Land ob der Ennßische Mit-Gespänn / wider die
tyrannischeBayrnzufechten.Anno1704, f.1v.
zurück zum
Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen