Seite - 132 - in Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
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132 KRIEG UND FRIEDEN
kations guren aus dem Bauernstand repräsentieren dabei die patriotische Einstellung,
die nicht von oben herab diktiert, sondern im quasi-authentischen Sprachausdruck als
aus dem Volk kommend erscheint. Was hier und bei vielen ähnlichen Bauerndialo-
gen auffällt:UntersuchtmandieStrophendarauf,wiedieRedeaufdiebeidenFiguren
verteilt ist, wer also im Lied was berichtet, wird deutlich, dass die Fiktion der Berichter-
stattungnichtdurchgehaltenwird;dieVerteilungderRedescheintvielmehrweitgehend
willkürlich.DieFiktionimLiedzieltalsowenigerdarauf,eineauthentischeSzeneabzu-
bilden und so dem Publikum vorzuspielen, wie die Sorgen des einen besänftigt werden.
Vielmehr ist das Lied als dialogisch in einem anderen Sinne zu begreifen, indem näm-
lichdasPublikumselbstalseingebundenvorgestelltwerdenmuss.DiezweiNamenbzw.
Figuren im Lied fungieren insofern nur als Platzhalter, denen keine konsistente Rolle
zugeschrieben werden muss, sondern an denen nur verschiedene Aspekte festgemacht
werden, die dem Publikum angeboten werden und die Identi kationsmöglichkeiten
eröffnen. Wenn dem Dialekt hier also die literarische Funktion der realistischen Ab-
bildung alltäglicher Sprech- und Kommunikationsgewohnheiten zukommt, dann nicht
im Sinne eines literarischen Realismus oder Naturalismus, dessen Ziel es wäre, die Fi-
guren bzw. Situationen in charakteristischer Weise abzubilden. Vielmehr scheint die
realistische Nachbildung dialektaler Kommunikation als identi katorischer
Türöffner`
zu dienen, auch im Kontext einer ktiven und im konkreten Fall wohl auch tatsächli-
chen mündlichenVermittlung.
Nicht nur feindliche Mächte stellten freilich die Rechtmäßigkeit der Thronfolge
durcheineFrauinFrage.AuchdasösterreichischeVolkselbstscheintursprünglichseine
Zweifelgehabtzuhaben,dieallerdingsmitdenerstenmilitärischenErfolgenimErbfol-
gekriegunddererfolgreichenBewältigungderRegierungsaufgabenschwanden.Diesen
Eindruck versucht zumindest das folgende Lied zu erwecken, das die Herrschaft Ma-
riaTheresiasüberzugeschriebene männliche`Attributerechtfertigt (auchwennfreilich
herausgestelltwird,dasssiegleichwohl immernochaufdieKampfkraftderMännerzu-
rückgreifenmüsse):
1
HAbmeinLebtagnievilghalten,
aufdasWeiber-Regiment,
habnkaumsovilKittl-Falten,
alsdaßsich ihrSinnumwendt,
maynsieseyndalldiebräffn,
schreynundrennäuminHaus,
habneinHauffen läreGschäften,
richtennebenbeywenigaus. 2
Aber jetztmußichbekennä,
daßoftmanchegscheydregiert
weill ausallnnureinenennä:
sodieCroninHungarnführt,
manthutsMariaThreßl tauffä,
daßmußwohleinstrall-Weibseyn,
thutmitKönigumärauffä,
undschlagtwiederToiffeldrein.
3
ErstenshatsderPreußangriffä
drin inSchlesienunvertraut,
derSachsderhat ihräzup ffä,
undhatauf seinFortlgschaut,
Bayrn,Frantzosenseyndäkemmä
inBöhmenundOesterreich,
grad,alswoltmäihralsnemmä,
gsäh ihmschierderHandelgleich. 4
Manthutzwar imSprichwort sagen,
vilHundseynddesHaasenTodt,
hat sichdochbräfaußigschlagen,
ist ihrenFeindenschieräSpott,
Oesterreichhatswidägwunnä,
unddashalbeBayrndazu,
Preussen,Sachsenseyndäzwungä,
daßsiehaimgehnindieRuhe.
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen