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SOLDATENWERBUNG, ZWANGSREKRUTIERUNG UND KRIEGSLEID 147
Die Werbung geschah in Friedenszeiten zumeist auf freiwilliger Basis, in Kriegs- oder
Krisenzeiten dagegen war dieses Prinzip aufgrund höherer Sollzahlen, aber auch auf-
grund von Abgängen durch Verwundung, Tod und Desertion meist nicht aufrecht zu
erhalten. Die sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen der Soldaten waren da-
bei keineswegs ansprechend: Das Landsknechtdasein des 16. Jahrhunderts mochte für
junge, kräftige Männer in nanzieller Hinsicht mit vergleichsweise hohem Einkommen
undzusätzlicherAussichtaufBeutenocheinigermaßenverlockendsein.Diestehenden
Heere in der Zeit des Absolutismus dagegen waren eine geschlossene Welt mit eige-
nem Rechtsstatus bei äußerst harten Dienstbedingungen und schlechter Besoldung 103.
Prügel gehörten zum soldatischen Alltag, der gesellschaftliche Status der unteren Char-
gen war gering, Aufstiegschancen gab es nur bedingt was auch Heirat und Famili-
engründung erschwerte. Desertion wiederum wurde mit drakonischen Strafen belegt,
kam aber dennoch sehr oft vor.104 Nach der Entlassung bildete der Übergang in das
zivile Leben einen besonders kritischen Punkt; nur wenige gelangten in gehobenere
oder abgesichertere Stellungen, Alters- und Invalidenfürsorge gab es praktisch keine,
undnichtwenigeabgedankteoderfahnen üchtigeSoldatendrifteteninsMilieuderAr-
men, Bettler, Vaganten oder auch Räuber ab.105 Insgesamt also hatten die Söldner oder
zwangsrekrutiertenUntertanendes18.JahrhundertseineprekäresozialePosition eine
RandstellunginderzivilenGesellschaft,diedurchgesondertenRechtsstatuszusätzlich
unterstrichen wurde, ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse und entsprechend gerin-
ges soziales Ansehen. 106 Angesprochen fühlten sich von diesen Anforderungen und
BedingungendahermeistbloßUngelernteoder gescheiterteExistenzen` sowie jene,die
aus Leichtsinn oder aufgrund von Notlagen den Werbern zu elen; dazu sorgten auch
BetrugundZwangbishinzuMenschenraubfürNachschub 107 vorallemebeninder
bäuerlichenBevölkerung.
103 Ebda.,S.30.
104 RegionalundzeitlichscheinenunterschiedlicheDienstzeiten von3bis6Jahrenbiszu15bis20Jahren
üblich gewesen zu sein; in Österreich waren laut Müller die Dienstzeiten sogar prinzipiell unbeschränkt.
Vgl. Jutta Nowosadtko: Ordnungselement oder Störfaktor? Zur Rolle der stehenden Heere innerhalb der
frühneuzeitlichen Gesellschaft. In: Ralf Pröve (Hg.): Klio in Uniform? Probleme und Perspektiven einer
modernen Militärgeschichte der frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 1997, S.5 34, hier 25.
Hippel,Armut,S.30. Müller,Militärgeschichte,S.153.
105 Historischen Untersuchungen zufolge betrug der Anteil abgedankter oder desertierter Soldaten im 17.
und 18. Jahrhundert bis zu einem Viertel der auf den Landstraßen aufgegriffenen Vaganten. Einige His-
toriker gehen daher davon aus, dass das Militär nicht nur Auffangbecken für Kriminelle oder frühzeitig
zum Militärdienst begnadigte Zuchthausinsassen war, sondern dass der Militärdienst eine solche spätere
Laufbahn beförderte, da beim Militär der Umgang mit physischer Gewalt erlernt wurde. Zudem hatten
Soldaten bereits jahrelang ohne festen Wohnsitz gelebt, ihre Bindungen zu Heimat und Familie oft ver-
loren und auch neue moralische Vorstellungen übernommen. Vgl. Carsten Küther: Menschen auf der
Straße. Vagierende Unterschichten in Bayern, Franken und Schwaben in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 1983. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 56)
S.36. Jürgen Kocka: Weder Stand noch Klasse. Unterschichten um 1800. Bonn: Dietz 1990. Nowo-
sadtko,OrdnungselementoderStörfaktor,S.9.
106 Hippel,Armut,S.29.
107 Ebda.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen