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ALLGEMEINE BRAUCHTUMSTEXTE 419
DawirdmanzurTa gesezt,dasolltsunshelfadasHochzetmahlvozöhren,
Unddässollvon jedngschegninallenehrn.
DagiebtmanunsaSuppn,undaKraut,
Wieshalt inallnHochzetn istdaBrauch;
ASuppnundaKrautdäsnötallain
Ichhoff, aguetsBierundandröguetnSpeisnwernanochdabeyseyn.
DasHochzetmahl istpaktirtwordn1 .4kr.,oder16Batzn
Jezt seyds infelirtundeingeladn.41
21 paktirt] abgemacht 1 . 4 kr.] 1 Gulden 4 Kreuzer 16 Batzn] = 64 Kreuzer (60 Kreuzer = 1 Gulden) 22 in-
felirt] invitiert, eingeladen
Das seltsame Mischmasch aus of ziöser formelhafter Ansage und dialektaler persönli-
cher Rede kennzeichnet auch den Abschiedsgruß, der vom Hochzeitslader stellvertre-
tendfürdasindieEhegehendeKindbeimVerlassendeselterlichenHausesvorgetragen
wird. Dabei wird der Akt des
Urlaubnehmens` durch die Verbalisierung in feierlichem
Prozedere gleichsam performativ-symbolisch vollzogen. Der Text liegt in zwei weitge-
hend normierten und je nach Bedarf zu gebrauchenden Varianten vor: Die kürzere
Variante wird verwendet, wenn beide Eltern des Bräutigams oder der Braut noch am
Leben sind; in der längeren wird dem verstorbenen Elternteil mit einer zusätzlichen
Passagegedacht.Verabschiedung,DankesworteundWertschätzungsbekundungensind
diezentralenMomente,die imsoziokulturelldeterminiertenKontext Heirat` zumAus-
druckgebrachtwerden.DabeiwirddermitderVerehelichungverknüpfteAkt,diesozial
Nahestehenden zu verlassen, in der Inszenierung als Neuordnung des familiären Gefü-
ges noch einmal in seiner Bedeutung hervorgehoben. Der an sich steife zeremonielle
Charakter der Rede (der vor allem in religiösen Belangen zutage tritt) wird durch die
Tendenzzurmundartlichen Nähesprachlichkeit` emotionalunterwandert:
Still abakloaneWeil! ihrsollt all aweni stiller sey.
Es ist sogarnötvonmeintwegn,
Sondernes istdemehrsammenHochzeiterdrangelegn.
Undweil es sihaufnheutigenTagalso thuetbegebn,
DaßderehrsammeHochzeiter fürsihselbernötgernthuet redn,
SohatermihwollnandieSeitnstelln;
Erhatmirawenigsvorgesagt,oder indenKopfeigebm,
Erhatmih laßninderGstalt seinerallhierherkömma,
Daßihsollt statt ihmafreundligsUrlaubnehma.
SobaldderehrsammeHochzeiter inderFriehaufgestandn,
So istergleihinterdenheiternHimmelnausganga,
ErhatGottbettnalsogleich.
DaßheuntNiemetkoaSchandoderHerzenleidgeschegnmag;
Esseyglei imGehn,Reitn,oderFahrn,
AlswieoftmancherVöta,oderBasl thuet sagen,
AchhättmihderehrsameHochzeiternöt ind'Hochzetglatn!
Sowär ih inkoaselchesUnglücknötgrathn.
Däshätt ihundderehrsameHochzeiternötgern,
SondernerhateuchallgeladninEhrn.
Ihrsollt aberheutbrauchakoanPrachtundUebermueth;
41 Westenrieder,BeyträgezurvaterländischenHistorie,S.412.
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen