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424 BRAUCHTUM UND GESELLIGKEIT
Gelegenheitspoesie
Neben Texten, die zuweilen jahrhundertelang in relativ gleichbleibender Form kursier-
ten und in ritualisierten, jahreszeitlich de nierten oder biographischen Kontexten zum
Einsatz kamen, stehen dialektale Gelegenheitstexte, die für bestimmte individualisierte
AnlässeundkonkretePersonen oftauchaufBestellungundgegenBezahlung eigens
verfasst wurden. Die Palette ist dabei groß: Zu den Feiern mit religiösem Hintergrund
wie Taufe und Hochzeit wurden bereits im dritten Kapitel mundartliche Dichtungen
vorgestellt, die vor allem zu Repräsentationszwecken entstanden waren und die dynas-
tischen Schlüsselmomente der jeweiligen Herrscherhäuser in ein entsprechend glori -
zierendes Licht setzten. Nicht staatstragend, dafür aber persönlicher und situationsge-
bundener schildern die folgenden Gelegenheitslieder zu Kindlmahl und Hochzeit, zu
Primiz,ProfessundAbtwahl,zuPromotion,AderlassoderauchzurFeiereinergeglück-
ten Bärenjagd freudige Feierlichkeiten im bäuerlichen, bürgerlichen oder klösterlichen
Umfeld.
Taufmahl-undHochzeitslieder
Meister dialektliterarischer Momentaufnahmen des bäuerlichen und bürgerlichen All-
tagswarendieungleichenBrüderMaurusundPeterGottliebLindemayr,wiebereitsan
einigen Kostproben in den vorangehenden Kapiteln gezeigt wurde. Besonders authen-
tisch, detailfreudig und realitätsnah zeigen sich ihre Arbeiten dort, wo Vorkommnisse
aus dem Familien- oder Freundeskreis für diverse Brauchtumsfeierlichkeiten aufgear-
beitet werden. Hier wird die mundartliche Sänger gur nicht wie sonst zumeist als
naiver,satirischgebrochenerBauernkommentatormarkiert,sondernrücktnäherandas
Autor-Ich,dessenAnteilnahmeundMitgefühldeutlichzuspürenist.
Als Unterhaltungseinlage für ein traditionelles Kindlmahl`, das nach Ende des Wo-
chenbettszusammenmitPaten,VerwandtenundHonoratiorenimElternhausdesNeu-
geborenen feierlich begangen wurde, entstand Maurus Lindemayrs reizvolles Freuden-
lied Was giebts denn z' Traunkirha heut a. Anlass war die glückliche Geburt der später
auch auf der Stiftsbühne aktiven Nichte des Autors, die am 19. August 1763 unter dem
Namen Maria Barbara Thekla aus der Taufe gehoben wurde. Dass der Vater Joseph
Gotthard Lindemayr, Hofrichter zu Traunkirchen, der Entbindung mit besonderer Un-
ruhe und Sorge entgegen sah, ist verständlich: Denn Ende 1761 war wenige Tage nach
seinem erstgeborenen Kind Maria Anna auch seine erste Frau Maria Theresia im Kind-
bett gestorben. Nur sechs Monate später heiratete der Hofrichter erneut: Maria Barbara
Hörttenhueber, Tochter des Hofrichters zu Peuerbach. Nur drei Strophen sind uns von
diesem Lied überliefert. Das Fragment beginnt wie so oft mit einer Simultanbeschrei-
bung der Feierlichkeiten, blickt zurück auf die Ängste des werdenden Vaters, der sich
in den Wochen vor der Geburt ins Gebet üchtet, um schließlich auf die Patin Maria
Barbara Desselbrunner, geborene Pösch, zu blenden. Diese war erst im Mai mit einem
Gmundner Gastwirt verehelicht worden; offenbar etwas spät nach Meinung der Kinds-
mutter:
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen