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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
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OpenAccess © 2019byBÖHLAUVERLAGGMBH&CO.KG,WIENKÖLNWEIMAR 474 KÖRPER UND SINNLICHKEIT nalisierungsbestrebungen der Aufklärung (die ja auch Verschriftlichung und Standar- disierung vorantrieben) unterlief. Der karnevaleske Körper der grundsätzlich dialektal angelegtenlustigenFigurenwieHanswurstoderBernardonundihreMachtlosigkeit, ihn unter Kontrolle zu halten, entlasteten den Rezipienten vom Domestizierungsdruck und bescherten ihm die Lust des Tabubruchs, die Freude am Despektierlichen, das Lachen über die momentane Aufhebung aller Konventionen.4 Michail Bachtins groteskes Kör- perkonzept einer karnevalistischen Lachkultur mit ihren omnipräsenten Motiven des Verschlingens, Ausscheidens und des Sexuellen ndet – trotz aller Hemmnisse bei Ver- schriftlichung und Überlieferung – auch im dialektalen Textkorpus seine Bestätigung.5 Ein nicht unbeträchtlicher Teil daraus wurde tatsächlich auch für die normunterwan- derndeFaschingszeitgeschaffen.Koprolalische,alsovulgär-undfäkalsprachlicheLieder zumstandesaufhebendenExkretionsdruckoderKrankheitsklagenwiedieBauer-Bader- WechselgesängeumVerstopfungs-oderDysenterieproblemewarenauchimKlosterum- feld aufführbar; Ekellieder, die mit Unappetitlichkeiten aller Art Schauer hervorrufen sollten, erfuhren im Lauf der Jahrzehnte ständige Umgestaltungen und konnten mit Fress-, Sauf-, und Fäkalkomik angereichert werden; Flohlieder brachten eine gequälte Leiblichkeit imKampfmitdemUngeziefer insBild. Amseltensten ndetsichfreilichLibidinösesinschriftlicherForm,explizitSexuelles, das über einen mehr oder weniger zweideutigen Anspielungshorizont hinausgeht. Die bekannt derben Vulgarismen eines noch nicht domestizierten Hanswurst sind nur in den seltensten Fällen tatsächlich auch textuell xiert, waren sie doch üblicherweise Teil des Improvisationsspiels (und damit nicht zuletzt auch außerhalb des Zugriffs der Zen- sur).DeftigeresklingtauchinCamou ageformendiverserTextformatean,woessichals Lebensbeichte oder quasi-dokumentarische Berichterstattung über Nötigungsvorfälle tarnen kann. Dass es aber schon im 18. Jahrhundert auch dezidiert pornographische Literatur im bairisch-österreichischen Dialekt gegeben haben muss, legen handschrift- liche Liedersammlungen aus dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts nahe, deren Inhalt zumindestzumTeil schonindenJahrzehntenzuvor imUmlaufwar. Vergleichsweise umfangreicher ist dialektale Literatur, die sich Liebe, Sinnlichkeit und die Beziehung der Geschlechter in etwas unverfänglicherer Weise zum Thema macht. Anrührend wirkt dies in simplen Liebesliedern nach alten volkstümlichen Mus- tern, anzüglich in anakreontischen Dichtungen mit ihren frivolen Sujets. Einen wich- tigen Themenkreis stellen Werbedialoge dar, bei denen der Dialekt im Wechsel mit oberdeutscher Umgangssprache soziale Differenzierung markieren oder als homogene Sprechlage für ritualisierte Flirtformen im ländlichen Bereich dienen kann. Liebesver- wirrungen sind ohnehin das Herzstück unzähliger Lustspiele, so auch im Bereich der Dialektburleske.AberauchdasEndesomancherLiebesbeziehungimwüstenEhe-Streit 4 Vgl.Müller-Kampel,Hanswurst,Bernardon,Kasperl. 5 Vgl. Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Aus dem Russischen von Gabriele Leupold. Hg. und mit einem Vorwort versehen von Renate Lachmann. 2.Au . Frankfurt a.M.: Suhrkamp1998.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 Eine andere Literaturgeschichte
Titel
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Untertitel
Eine andere Literaturgeschichte
Autoren
Christian Neuhuber
Stefanie Edler
Elisabeth Zehetner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20630-9
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
652
Schlagwörter
Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800