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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
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KREATÜRLICHES, KRANKHAFTES UND DER REIZ DES EKELHAFTEN 483 das Überschreiten der Ekelschranken zeitigen: Konvulsionen, Würgere ex und Brech- reiz ebenso wie Abwehrlachen, ja sogar – wie Sigmund Freud gezeigt hat – Erregung.20 Worauf wir so stark reagieren, ist freilich stark kulturell geprägt und orientiert sich dementsprechend am jeweiligen Lebensraum und den sich ändernden Verbotsdimen- sionen. Die Tabuisierung und moralische Verurteilung des Abstoßenden ist ein Signum des fortschreitenden Zivilisationsprozesses. Den Ästhetikern des 18. Jahrhunderts war dasEkelhafte inersterLiniedasGegenteildesSchönen,dasalsGenussamUnendlichen das allzu Natürliche als Ausdruck des hässlichen, verfallenden, verfaulenden Lebens schlechthin ausblenden muss. Als genuin eklig identi zierten sie körperliche Zeichen desAlterns,KörperöffnungenundihreAusscheidungensowieVerwesung.21 AuchKant konnte sich der irritierenden Faszination des Ekelhaften nicht entziehen, das als ver- nunftbedrohende „ starke Vitalemp ndung“ 22 die höchste Aufmerksamkeit einfordere undzudemerinseinenRe exionenzurAnthropologie(nebeneinigenanderenkuriosen Vermerken) „ [g]erade zu das faule und excremente des thierischen Korpers überhaupt. EkleKrankheiten“ 23 zählte. In der Kunst kommt dem Widerwärtigen als Wirklichkeitsanker für den schönen Schein gleichwohl eine wichtige Rolle zu, indem es lustvoll die abstoßende Differenz zum Ideal herausarbeitet. Gerade in einer Zeit, in der von Theoretikern wie Winkel- mann, Herder oder Lessing der formvollendete Körper am Leitbild der antiken Kunst zum Inbegriff des Schönen stilisiert wurde, übernimmt die ästhetische Gestaltung des de zitärenKörperseinewesentlicheEntlastungsfunktionvomDruckder immerrigider formuliertengesellschaftlichenNormen.NaheliegendwardafürdieThematisierungder vonKantangeführten‚ eklenKrankheiten` ingrobianistischenSpaßliedern,diedenKör- per als fehleranfälliges System zeigen, das mit den beschränkten Mitteln der Heilkunst am Land nur selten zufriedenstellend wiederhergestellt werden konnte. Eine kontextu- elleEinbettungfürdasVergnügenankoprolalischenNormverstößenbotendiebeliebten Bauer-Bader-Dialoge um Verdauungsprobleme kleinerer oder größerer Natur. Ein be- sondersderb-skatologisches, inderdramaturgischenGestaltungderEkelredeaberauch hochkomisches und kulturhistorisch höchst aufschlussreiches Beispiel stammt mit Der kranke Bauer und der Bader (um 1750) wieder vom Lambacher Benediktiner Maurus Lindemayr.DieLustanderZurschaustellungdesKreatürlichen,anderInszenierungdes durchdenZivilisationsprozessVerdrängten,amTabubrucheineröffentlichenBefreiung des unterworfenen Körpers garantierte offensichtlich auch in höheren Bildungsschich- ten den Lacherfolg; im Volksgesang hielt sich der Wechselgesang nachweislich bis ins 20. Jahrhundert:24 20 Vgl. ebda.,S.275– 332. 21 Vgl. Stephanie Bölts: Krankheiten und Textgattungen. Gattungsspezi sches Wissen in Literatur und Me- dizinum1800.Berlin/Boston:deGruyter2016,S.127. 22 Zitiert nach Menninghaus, Ekel, S.173. Vgl. dazu auch Jürgen Vogt: Starke Gefühle. Zu den prärationa- len Grundlagen ästhetischer Erfahrung. Teil 1: Kants Ekel. In: Zeitschrift für Kritische Musikpädagogik (2007),S.54– 71,http://www.zfkm.org/07-vogt.pdf (letzterZugriff am20.05.2018). 23 ZitiertnachMenninghaus,Ekel,S.188. 24 Vgl.TirolerVolksliedwerkA2712.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 Eine andere Literaturgeschichte
Titel
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Untertitel
Eine andere Literaturgeschichte
Autoren
Christian Neuhuber
Stefanie Edler
Elisabeth Zehetner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20630-9
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
652
Schlagwörter
Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800