Seite - 486 - in Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
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486 KÖRPER UND SINNLICHKEIT
(lat. scrotum) Hodensack 13,3 sedum] (fälschlich für lat. sedes) Stuhlgang, Stuhl 14,1 Gspaiß] Spaß 14,2 Der
Dröck... aus]beiDarmverschlussstautsichderDarminhaltbis indenMagen,biseszumErbrechenkommt
14,4 abmäschirn]abtreten, sterben
Trotz aller sprachlichen Drastik (oder vielleicht gerade wegen ihr) gibt das Lied ein in-
struktivesBildderBehandlungsmöglichkeiten,diesichderbäuerlichenBevölkerungim
Krankheitsfallboten.SobizarrdasRenommierendesDorfbadersmitentstelltenlateini-
schenKrankheitsbezeichnungenundHeilmittelnauchanmutenmag dievorgeführten
medizinischen Anamnese-, Diagnose- und Behandlungsmethoden zeigen ihn auf der
HöheseinerZeit,auchwenndieexzessiveBehandlungsweiseoderdiebedrohlicheHäu-
fung der anempfohlenen hochwirksamen Remedien Schlimmes vermuten lassen. Nach
der Uroskopie auf Basis der Galen'schen Humoralpathologie, der Patientenbefragung
undderPulsdiagnosewerdenVomitivaundKlistierezurEntgiftungdesKörpersebenso
in Erwägung gezogen wie ein Aderlass zur Kreislaufkorrektur und eine Blutegelkur zur
GefäßbehandlungbeiHämorrhoidalleiden.Heilmethodenalso,dieauchinderAlterna-
tivmedizin wieder zunehmend Akzeptanz nden. Auch die verschiedenen namentlich
empfohlenen Mittel sind vielfach heute noch in Gebrauch oder zumindest Bestandteil
naturmedizinischerPräparate.
Es istalsowenigerdermedizinischeKenntnisstandderZeit,demhierdieKritikgalt.
Zum Lachen gebracht werden sollte das Publikum vor allem durch die rigorose Benen-
nung der Ausscheidungsprozesse und durchaus bedenklichen Krankheitsbilder, die im
Behandlungsgesprächzwarsinnvoll seinkonnte,dochschonzudieserZeitnichtnurim
öffentlichen Diskurs kaum tolerabel war. Selbst der Bader hat seinen Anteil daran, dass
in die an sich emotionslos zu gestaltende Pathographie wieder der Ekel Einzug erhält,
wenn er ungustiöse Vergleiche ( zwölf Dröscher fressens nit ) ins Spiel bringt. Einen
besonderen Reiz aber musste das Lied für das durchwegs lateinkundige Zielpublikum
(vermutlich bei einer Faschingsaufführung des Lambacher Konvents) durch die Dis-
krepanz von tatsächlicher medizinischer Terminologie und deren Verstümmelung in
der Rededes akademischungebildeten Badershaben. Ein Küchenlatein,das gleichwohl
mächtigen Eindruck auf den Bauern macht und ihm Vertrauen ein ößt ein Phäno-
men,dassichbisheutebeobachten lässt.
Mehrfach überliefert ist ein weiterer brachialkomischer Wechselgesang nach diesem
Muster, der wie eine direkte Fortsetzung zu Lindemayrs Duett anmutet, kommt hier
doch ein Bauer zum Bader, weil die Abführmittel der letzten Behandlung hartnäcki-
gen Durchfall hervorgerufen haben. Auch die charakteristische metrische Form der elf
Wechselstrophen lassen an ein Abhängigkeitsverhältnis denken. Die sprachlich und in-
haltlich deutlich simplere Durchführung mag jahrzehntelangen Umsingeprozessen ge-
schuldet sein. Hier der Beginn einer Fassung aus einer Handschrift, die im Anschluss
einweiteresLindemayrliedüberliefert:
1
WillkombmeinLieberBadäBist schonäGscheidäman,
mitmirwillshaltnitBösserwern,was fang ichwohlnochan?
Lippl lieberNachberwas fehltdirdenschanmehr,
Bist znägstn jaerstdadägwöstkimmstheutschanwiderher.
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Buch Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Titel
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Untertitel
- Eine andere Literaturgeschichte
- Autoren
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 652
- Schlagwörter
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen