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268 Todtes Weib.
wurde dem trotzigen Gewände Raum für ein Sträßlein abgerungen und
begegnet heute der Wanderer nicht selten bequemen Landauern, auf einer
Spazierfahrt durch die grause Wildklamm. Jede WenduDg der Bergschlucht
zeigt neue wildromantische Bilder, aber in der Mitte der circa 20 Min. langen
Enge erlauschen wir auch das Rauschen fallender Wässer mit ihrer ein-
tönigen Melodie, ihrem Klingen und Singen, ewig und immer, und plötzlich
stehen wir vor dem weitgerühmten W a s s e rf al 1 des Todten Weibes.
Von gewaltiger Höhe bricht aus dunklem Felsenracheu, zu welchem höl-
zerne Treppen hinanführen, ein mächtiger Quell hervor und stürzt über
eine Felswand in mehreren Absätzen, wohl 40—50 m hoch, oft an moo-
sigem Gestein zerschellend, aber immer sich wieder vereinigend, nieder in
die schäumenden Finten der Mürz. Der Quell soll das Wasser sein, was
auf dem Nassköhr plötzlich in den Fels versinkt und nun hier wieder zu
Tage tritt. Ein paar Kreuze am Felsengewände erhöhen die romantische
Stimmung der Scenerie.
Ein Sturmwind jagte einst auf sonniger Höhe ein paar Samenkörnlein
von Alpenrosen und Edelweiß durch die Lüfte und sie senkten sich in die finstere
Waldschlucht, und nun schmücken rothe Blüten und weiße Sterne das düstere
Gewände. Die geschäftige Sage weiß wenig von dieser Stelle zu melden.
In grauer Vorzeit soll ein Landmann aus Eifersucht sein Weib von einem
Felsen in die Fluten der Mürz gestürzt haben. Wie durch ein Wunder
gerettet, verbarg sich die Verfolgte in die Enge der Mürz, baute sich
hier eine Klause und lebte als Einsiedler für die armen Bewohner des
Urwaldes, heilsame Kräuter suchend. Erst der Tod enthüllte das Geheimnis
des frommen Klausners. Andere erzählen von einem Bauernburschen, den
man zum Militär steckte, der aber vor Heimweh und Sehnsucht nach seiner
Liebsten, einer armen Sennerin, desertierte. Das erstemal lautete das
Urtheil auf Spießruthenlaufen, das zweitemal auf Tod durch Pulver und
Blei. Bald darauf fand man die Sennerin auf der Stelle, die heute nach
ihr das „Todte Weih" genannt wird, entseelt liegen. Jeder Wanderer hält
hier Rast und lauscht dem Rauschen der Wässer, pflückt auch ein Blümlein
oder Alpenröslein, oder klimmt die Treppen hinan, um den Ursprung des
Wasserquelles zu schauen. Wenige Minuten nach dem „Todten Weib" er-
blickt man an der Stelle, wo das Pferd der Kaiserin einbrach, eine Tafel mit
dem Bildnisse des heil. Georg nnd folgenden schlichten und sinnigen Versen :
Zur Erinnerung an den 26. August 1883.
„Heil. Georg, Reitersmann,
Der vor Gefabr beschützen kann,
Der meine Mutter oft beschützt,
Wo keines Menschen Hilfe nützt.
Ich bitte dich mit Zuversicht,
Verweig're mir diö Bitte nicht,
Beschütze stets das theure Leben,
Das mir das Licht der Welt gegeben.
Marie ì'alerte"
Bald beginnt sich nun die Klamm zu weiten und plötzlich öffnet sich
ein herzerfreuender Blick auf das kleine Holzknechtdör fchen Frein,
Die eherne Mark
Eine Wanderung durch das steirische Oberland, Band 1
- Titel
- Die eherne Mark
- Untertitel
- Eine Wanderung durch das steirische Oberland
- Band
- 1
- Autor
- Ferdinand Krauss
- Verlag
- Leykam
- Ort
- Graz
- Datum
- 1892
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.45 x 21.56 cm
- Seiten
- 496
- Schlagwörter
- Steiermark, Heimatkunde
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918