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433 Das Pusterwaldthal.
Bei jedem Hofe erhebt sich meist auch ein gemauertes Wegkreuz
oder gar eine kleine Kapelle bis zum Pustereckjoch hinauf, woselbst noch
ein Unglückskreuz (Marterl) erinnert, dass einst hier ein Viehhändler aus
Oberösterreich Ende Juni im frisch gefallenen Schnee erfroren ist.
Vom Pfarrdörfchen an wird die Gegend immer lieblicher. Die Berge
treten weiter auseinander, streben aber auch noch höher auf. In der
sonnenvollen Thalmulde dehnen sich ansehnliche Gehöfte aus und blinken
mit ihren weißen Mauern schon von weitem dem Wanderer entgegen.
Vor jedem Hause ist ein meist wohlgepflegter Garten und hier steht zu-
weilen ein Kirschbaum, der einzig vorkommende Obstbaum, oder ein
Zirbenbaum.
Etwa 3/4 Std. von der Kirche heißt die Gegend „im Mitterspiel".
Dort ist es im ganzen Thale am schönsten. Es ist eine liebliche, mit
gut gebauten Gehöften besetzte Ebene, wo der Thalbach durch üppige
Wiesen wallt und einerseits den starken Scharnitzbach, anderseits zahl-
reiche Quellen in seinen Lauf aufnimmt, welche ihren Ursprung auf Felsen-
zinnen haben, über welche sie wie gesponnenes Glas herabhängen. Die
beiden Bäche und die Bergquellen rauschen in einem wundersamen Accord
zusammen und wenn das Rauschen der Wässer an manchen Tagen gar
seltsam und geheimnisvoll erklingt, so sagt das Volk: „Jetzt singen die
Wildfräulein." Diese sind gar schöne Waldnixen mit goldigem langem
Haare, die in den Waldschluchten an Bergquellen wohnen und den Men-
schen gut gesinnt sind. Davon wusste einst ein Knecht in Mitterspiel zu
erzählen, der so arm war, dass er nur ein Hemd hatte, welches zuletzt
von Schmutz ganz steif wurde. Eines heißen Sommertages kam der"Knecht
ganz in Schweiß und hieng sein nasses Hemd auf einen Baum zum Trocknen
auf und gieng, nur mit der Joppe bekleidet, zum Essen. Da hörte man
vom Walde her ein lautes Klatschen von Waschbläuen und als der Knecht
wieder zu seinem Pflug hinaufgieng, fand er auf demselben sein Hemd
schneeweiß gewaschen und daneben ein Laiblein blütenweißes Brot. Das
hatten die Wildfräulein gethan.
Hinter Mitterspiel wird das Thal wieder schmäler und heißt nun
die Gegend „im Hin te rwinke l " . Je weiter man ins Thal hineinkommt,
je größer werden die Anwesen; dieselben reichen vom Thalbache auf
beiden Seiten bis zum Alpenkamme hinauf und enthält ein Besitz mehrere
hundert Joch Grund und hat einen Rindviehstand von etwa 100 Stück.
Es knüpft sich nun fast an jedes Haus, jeden Felsen und an jede Berg-
spitze ein Märchen oder eine Sage mit mehr oder minder geschichtlichem
Hintergrunde.
Besonders sagenumsponnen ist der Hochwarth im hintersten Winkel,
an welchen die Grenzen dreier Gerichtsbezirke zusammenstoßen (Ober-
wölz, Ober-Zeiring und Irdning). Im Wasserbecken des Hochwarth hauste
einst ein Lindwurm. Wenn er brüllte, zitterten weitum die Berge. Einst
meldete sich der Lindwurm längere Zeit nicht mehr; die Ursache davon
wusste der Peterbauer, welcher einen „Bergspiegel" hatte, mit welchem er
in das Innere der Berge sehen konnte. Da sah er nun, wie der Lindwurm
K r a li s s , Die eherne Mark. 28
Die eherne Mark
Eine Wanderung durch das steirische Oberland, Band 2
- Titel
- Die eherne Mark
- Untertitel
- Eine Wanderung durch das steirische Oberland
- Band
- 2
- Autor
- Ferdinand Krauss
- Verlag
- Leykam
- Ort
- Graz
- Datum
- 1892-1897
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 14.1 x 20.37 cm
- Seiten
- 613
- Schlagwörter
- Steiermark, Heimatkunde
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918