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St. Lambrecht. 569
Dieser Bau begann anfangs des 14. Jahrhunderts mit der Abbrechung der Apsiden
und der Ostschlussmauer des Mittelschiffes und Anbau eines gothischen Chores
mit drei gleich hohen Schiffen, abgeschlossen durch ein alle drei Schiffe umfas-
sendes Fünfeck (fünf Seiten des Zwölfeckes). Ers t unter Abt Lichtenegger (1387
bis 1419) wich auch das alte romanische Kirchenschiff einem dem ö. gothischen
Chorbaue in den Dimensionen und Stilcharakter conformen Neubaue, so dass die
ganze Kirche ihre heutige Form als dreischiffige, gothische Hallenkirche erhielt,
mit den zwei alten Thünnen an der W.-Seite. Bei diesem Umbau scheint der
Lettner, welcher als Scheidungsglied zwischen Convent und Laienkirche das Kirchen-
schiff durchquerte und unter welchem der alte St. Lambertus-Altar stand, ent-
standen zu sein, der anfangs des 17. Jahrhunderts entfernt wurde. Die Dimen-
sionen der Kirche sind höchst bedeutend und überragt die mit 78 m volle Länge
sammt Vorhalle und lichte Breite der drei Schiffe von 20 m alle übrigen g o t h i s c h e n
Kirchen Steiermarks.
Fünf Pfeilerpaare des Chores sind dem älteren Stilcharakter entsprechend
reicher profiliert, indem denselben Dienste zur Aufnahme der Gewölbrippen vor-
gelegt sind.
Die sechs Pfeilerpaare des Schiffes, der zweiten Bauperiode des gothischen
Neubaues entstammend, entbehren jedoch der reicheren Gliederung und steigen im
Achteck schmucklos auf. Die Fagade der Kirche mit ihrem prächtigen Marmor-
portal, wie der Musikchor und namentlich die 1658 erbaute Sacristei zeigen das
reiche Gepräge der italienischen Spät-Benaissance.
An der N.-Seite des Schiffes liegt eine unter Abt Kilian (1725 — 1737)
erhaute, ursprünglich dem hl. Josef geweihte, später, nachdem der Altar nach dem
Maria-Zeller Gnadenaltare umgebaut worden, Maria-Zeller-Kapelle genannte Seiten-
kapelle. (1683 wurde die Maria-Zeller Gnadenstatue anlässlich der Türkengefahr
nach St. Lambrecht gebracht.)
Die schönen Altäre entstanden unter Abt Benedict (1628—1662) nach den
Entwürfen Dominico Sciassias, und ragen hievon insbesonders jener des hl. Bene-
dict und des hl. Emeran hervor. Die Architektur des Hochaltars zeigt Stuckmarmor
und der Tabernakel von Ebenholz reichen Silberbeschlag.
Im ö. Thurm hängen sechs Glocken, von welchen die größte, 1637 gegossen,
95 Ctr. wiegt.
Im Friedhofe, an der N.-Seite der Kirche liegt der große, 9*10 m im Durch-
schnitte messende Karner, nicht unwahrscheinlich mit der schon 1148 urkundlich
erwähnten „Kaltenchirche" identisch; ein r o m a n i s c h e r B a u mit Apsis, beste-
hend aus Oberkapelle mit darunterliegendem Beinhause (Gewölbe), aus der Mitte
des 12. Jahrhunderts stammend.
Jenseits des großen Stiftshofes liegt noch die 1424 erhaute, einschiffige
alte Marktkirche, die St. P e t e r s k i r c h e , heute außer Gebrauch und auf dem
darüber sich erhebenden Hügel als letzte Reste der hier bis in unser Jahrhundert
erhalten gebliebenen Burgveste eine zierliche, 1418 erbaute, früh gothische Kapelle
und ein hoher, im Viereck aufsteigender Wehrthurm, beide ehrwürdige Bauten
heute aus einem schattigen Parke, der manch lauschiges Plätzchen birgt, hoch
aufragend.
Neben der alten Pfarrkirche St. Peter, die 1786—1802 geplündert und pro-
faniert wurde, liegt das Convikt mit d.em stiftischen Sängerknaben- und Privat-
gymnasium, sowie das von Abt Heinrich (1419—1455) erhaute einstige Stiftsspital
zur Aufnahme alter Stifts dienstleute, Avelches mit einem Fond von 6000 fl. fünf
bis sieben Pfründner versorgt.
Die Stiftskirche birgt die Grabsteine des Abtes J o h a n n S c h a c h n e r ,
f 1478, dann jenen des Abtes Johannes Trattner, f 1591.
S e h e n s A v ü r d i g k e i t e n d e r k i r c h l i c h e n B a u t e n . 1. Di& Sacristei
unter Abt Benedict Pierin in den heiteren Formen der italienischen Renaissance
und auf das glanz\7ollste ausgestattet. D i e S c h r ä n k e z e i g e n r e i c h s t e s
S c h n i t z w e r k und die prächtigen Beschläge weisen die Buchstaben W. A. S. L.
1658. W statt B(enedictus) A(bbas) S(ancti) L(amberti). Die herrlichen Schränke
sind wahre Meisterstücke des ausgezeichneten Kunsttischlers G r e g o r P e r c h d o l t t
Die eherne Mark
Eine Wanderung durch das steirische Oberland, Band 2
- Titel
- Die eherne Mark
- Untertitel
- Eine Wanderung durch das steirische Oberland
- Band
- 2
- Autor
- Ferdinand Krauss
- Verlag
- Leykam
- Ort
- Graz
- Datum
- 1892-1897
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 14.1 x 20.37 cm
- Seiten
- 613
- Schlagwörter
- Steiermark, Heimatkunde
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918