Seite - 115 - in Die nordöstliche Steiermark - Eine Wanderung durch vergessene Lande
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Jahrhunderten entstanden ist, vor uns aufsteigt. Lassen wir
uns unter dem weithinschattenden Laubdache dieser ehrwürdigen
Linden auf weicher Moosdecke nieder, so entrollt sich vor
uns eines jener bezaubernd lieblichen Landschafts-
bilder, an welchen die nordöstliche Steiermark so
reich ist. Ueber dem zu unseren Füssen liegenden Markte
steigen höher und höher, die reich bebaute Sonnseite uns
zugewandt, hie und da durch ein Kirchlein und zerstreute
Häusergruppen belebt, die allseitig zu der kahlen Kammlinie
des Wechsels anstrebenden Höhenzüge vor uns auf, und dieser
reiche Wechsel von Thal und Hügelformen, von düsteren
Waldesmassen, bunt durcheinanderlaufenden Acker- und Wiesen-
feldern bis zu den in blauen Fernen lagernden Alpenmatten,
vereinigt sich hier zu einem wahrhaft herzerquickenden Bilde
der Mittelgebirgslandschaft.
Wenden wir uns nun dem Stiftsgebäude zu, so begegnen wir
vorerst rechts eine von steinernen Statuen umgebene Mariensäule,
welche, wie ihre Inschrift sagt, anlässlich der 1713 herrschenden
Pest errichtet wurde. An dieser Yotivsäule vorüberschreitend,
stehen wir sogleich vor dem 11 Klafter hohen Thorthurme des
1619 erbauten stockhohen Vorgebäudes (siehe Seite 116), welches
durch seine zwei Seitenflügeln mit dem Stifte verbunden ist.
Innerhalb dieses Thorthurmes, der in seiner heutigen Gestalt
unter Probst Filipp Leisl, 1692, entstanden ist, weist uns
noch ein mächtiges Fallgitter seine eisenbewehrten Zähne.
Wir stehen nun in dem weiten Hofraume, der auf drei Seiten
von dem erwähnten Vorgebäude eingeschlossen ist, während auf
der vierten die Westfagade der Kirche, beiderseits flankirt von dem
Stiftsgebäude vor uns aufsteigt Bevor wir aber weiterschreiten,
verlockt uns wohl zur Linken die im Vorgebäude befindliche
Stiftstaverne, zur Rast, und gar traulich lässt sich's weilen
in den uralten Stuben bei trefflichem Klosterwein und gar
schmackhafter Küche (Forellen), die uns die streng gehaltenen
Fastengebote leicht verschmerzen lassen. Setzen wir nun ge-
stärkt unsere Wanderung fort, so stehen wir bald vor dem
Thore, der von zwei sogenannten deutschen Thürmen, den letzten
ehrwürdigen Resten der alten romanischen Basilika, überragten
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Die nordöstliche Steiermark
Eine Wanderung durch vergessene Lande
- Titel
- Die nordöstliche Steiermark
- Untertitel
- Eine Wanderung durch vergessene Lande
- Autor
- Ferdinand Krauss
- Verlag
- -
- Ort
- Graz
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 10.93 x 17.9 cm
- Seiten
- 498
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918