Seite - 8 - in Die Verwandlung
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ununterbrochen in der verschiedensten Bewegung waren und die er überdies
nicht beherrschen konnte. Wollte er eines einmal einknicken, so war es das
erste, daß es sich streckte; und gelang es ihm endlich, mit diesem Bein das
auszuführen, was er wollte, so arbeiteten inzwischen alle anderen, wie
freigelassen, in höchster, schmerzlicher Aufregung. »Nur sich nicht im Bett
unnütz aufhalten«, sagte sich Gregor.
Zuerst wollte er mit dem unteren Teil seines Körpers aus dem Bett
hinauskommen, aber dieser untere Teil, den er übrigens noch nicht gesehen
hatte und von dem er sich auch keine rechte Vorstellung machen konnte,
erwies sich als zu schwer beweglich; es ging so langsam; und als er
schließlich, fast wild geworden, mit gesammelter Kraft, ohne Rücksicht sich
vorwärtsstieß, hatte er die Richtung falsch gewählt, schlug an den unteren
Bettpfosten heftig an, und der brennende Schmerz, den er empfand, belehrte
ihn, daß gerade der untere Teil seines Körpers augenblicklich vielleicht der
empfindlichste war.
Er versuchte es daher, zuerst den Oberkörper aus dem Bett zu bekommen,
und drehte vorsichtig den Kopf dem Bettrand zu. Dies gelang auch leicht, und
trotz ihrer Breite und Schwere folgte schließlich die Körpermasse langsam
der Wendung des Kopfes. Aber als er den Kopf endlich außerhalb des Bettes
in der freien Luft hielt, bekam er Angst, weiter auf diese Weise vorzurücken,
denn wenn er sich schließlich so fallen ließ, mußte geradezu ein Wunder
geschehen, wenn der Kopf nicht verletzt werden sollte. Und die Besinnung
durfte er gerade jetzt um keinen Preis verlieren; lieber wollte er im Bett
bleiben.
Aber als er wieder nach gleicher Mühe aufseufzend so dalag wie früher,
und wieder seine Beinchen womöglich noch ärger gegeneinander kämpfen
sah und keine Möglichkeit fand, in diese Willkür Ruhe und Ordnung zu
bringen, sagte er sich wieder, daß er unmöglich im Bett bleiben könne und
daß es das Vernünftigste sei, alles zu opfern, wenn auch nur die kleinste
Hoffnung bestünde, sich dadurch vom Bett zu befreien. Gleichzeitig aber
vergaß er nicht, sich zwischendurch daran zu erinnern, daß viel besser als
verzweifelte Entschlüsse ruhige und ruhigste Überlegung sei. In solchen
Augenblicken richtete er die Augen möglichst scharf auf das Fenster, aber
leider war aus dem Anblick des Morgennebels, der sogar die andere Seite der
engen Straße verhüllte, wenig Zuversicht und Munterkeit zu holen. »Schon
sieben Uhr«, sagte er sich beim neuerlichen Schlagen des Weckers, »schon
sieben Uhr und noch immer ein solcher Nebel.« Und ein Weilchen lang lag er
ruhig mit schwachem Atem, als erwarte er vielleicht von der völligen Stille
die Wiederkehr der wirklichen und selbstverständlichen Verhältnisse.
Dann aber sagte er sich: »Ehe es einviertel acht schlägt, muß ich unbedingt
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Buch Die Verwandlung"
Die Verwandlung
- Titel
- Die Verwandlung
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1912
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 54
- Schlagwörter
- Erzählung, Schriftsteller, Ungeziefer, Käfer, Insekt
- Kategorien
- Weiteres Belletristik