Seite - 15 - in Die Verwandlung
Bild der Seite - 15 -
Text der Seite - 15 -
Photographie Gregors aus seiner Militärzeit, die ihn als Leutnant darstellte,
wie er, die Hand am Degen, sorglos lächelnd, Respekt für seine Haltung und
Uniform verlangte. Die Tür zum Vorzimmer war geöffnet, und man sah, da
auch die Wohnungstür offen war, auf den Vorplatz der Wohnung hinaus und
auf den Beginn der abwärts führenden Treppe.
»Nun«, sagte Gregor und war sich dessen wohl bewußt, daß er der einzige
war, der die Ruhe bewahrt hatte, »ich werde mich gleich anziehen, die
Kollektion zusammenpacken und wegfahren. Wollt Ihr, wollt Ihr mich
wegfahren lassen? Nun, Herr Prokurist, Sie sehen, ich bin nicht starrköpfig
und ich arbeite gern; das Reisen ist beschwerlich, aber ich könnte ohne das
Reisen nicht leben. Wohin gehen Sie denn, Herr Prokurist? Ins Geschäft? Ja?
Werden Sie alles wahrheitsgetreu berichten? Man kann im Augenblick
unfähig sein zu arbeiten, aber dann ist gerade der richtige Zeitpunkt, sich an
die früheren Leistungen zu erinnern und zu bedenken, daß man später, nach
Beseitigung des Hindernisses, gewiß desto fleißiger und gesammelter arbeiten
wird. Ich bin ja dem Herrn Chef so sehr verpflichtet, das wissen Sie doch
recht gut. Andererseits habe ich die Sorge um meine Eltern und die
Schwester. Ich bin in der Klemme, ich werde mich aber auch wieder
herausarbeiten. Machen Sie es mir aber nicht schwieriger, als es schon ist.
Halten Sie im Geschäft meine Partei! Man liebt den Reisenden nicht, ich
weiß. Man denkt, er verdient ein Heidengeld und führt dabei ein schönes
Leben. Man hat eben keine besondere Veranlassung, dieses Vorurteil besser
zu durchdenken. Sie aber, Herr Prokurist, Sie haben einen besseren Überblick
über die Verhältnisse als das sonstige Personal, ja sogar, ganz im Vertrauen
gesagt, einen besseren Überblick als der Herr Chef selbst, der in seiner
Eigenschaft als Unternehmer sich in seinem Urteil leicht zu Ungunsten eines
Angestellten beirren läßt. Sie wissen auch sehr wohl, daß der Reisende, der
fast das ganze Jahr außerhalb des Geschäfts ist, so leicht ein Opfer von
Klatschereien, Zufälligkeiten und grundlosen Beschwerden werden kann,
gegen die sich zu wehren ihm ganz unmöglich ist, da er von ihnen meistens
gar nichts erfährt und nur dann, wenn er erschöpft eine Reise beendet hat, zu
Hause die schlimmen, auf ihre Ursachen hin nicht mehr zu durchschauenden
Folgen am eigenen Leibe zu spüren bekommt. Herr Prokurist, gehen Sie nicht
weg, ohne mir ein Wort gesagt zu haben, das mir zeigt, daß Sie mir
wenigstens zu einem kleinen Teil recht geben!«
Aber der Prokurist hatte sich schon bei den ersten Worten Gregors
abgewendet, und nur über die zuckende Schulter hinweg sah er mit
aufgeworfenen Lippen nach Gregor zurück. Und während Gregors Rede stand
er keinen Augenblick still, sondern verzog sich, ohne Gregor aus den Augen
zu lassen, gegen die Tür, aber ganz allmählich, als bestehe ein geheimes
Verbot, das Zimmer zu verlassen. Schon war er im Vorzimmer, und nach der
15
zurück zum
Buch Die Verwandlung"
Die Verwandlung
- Titel
- Die Verwandlung
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1912
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 54
- Schlagwörter
- Erzählung, Schriftsteller, Ungeziefer, Käfer, Insekt
- Kategorien
- Weiteres Belletristik