Seite - 42 - in Die Verwandlung
Bild der Seite - 42 -
Text der Seite - 42 -
Zimmer einer großen Reinigung unterzogen, die ihr nur nach Verbrauch
einiger Kübel Wasser gelungen war – die viele Feuchtigkeit kränkte allerdings
Gregor auch und er lag breit, verbittert und unbeweglich auf dem Kanapee –,
aber die Strafe blieb für die Mutter nicht aus. Denn kaum hatte am Abend die
Schwester die Veränderung in Gregors Zimmer bemerkt, als sie, aufs höchste
beleidigt, ins Wohnzimmer lief und, trotz der beschwörend erhobenen Hände
der Mutter, in einen Weinkrampf ausbrach, dem die Eltern – der Vater war
natürlich aus seinem Sessel aufgeschreckt worden – zuerst erstaunt und
hilflos zusahen; bis auch sie sich zu rühren anfingen; der Vater rechts der
Mutter Vorwürfe machte, daß sie Gregors Zimmer nicht der Schwester zur
Reinigung überließ; links dagegen die Schwester anschrie, sie werde niemals
mehr Gregors Zimmer reinigen dürfen; während die Mutter den Vater, der
sich vor Erregung nicht mehr kannte, ins Schlafzimmer zu schleppen suchte;
die Schwester, von Schluchzen geschüttelt, mit ihren kleinen Fäusten den
Tisch bearbeitete; und Gregor laut vor Wut darüber zischte, daß es keinem
einfiel, die Tür zu schließen und ihm diesen Anblick und Lärm zu ersparen.
Aber selbst wenn die Schwester, erschöpft von ihrer Berufsarbeit, dessen
überdrüssig geworden war, für Gregor, wie früher, zu sorgen, so hätte noch
keineswegs die Mutter für sie eintreten müssen und Gregor hätte doch nicht
vernachlässigt werden brauchen. Denn nun war die Bedienerin da. Diese alte
Witwe, die in ihrem langen Leben mit Hilfe ihres starken Knochenbaues das
Ärgste überstanden haben mochte, hatte keinen eigentlichen Abscheu vor
Gregor. Ohne irgendwie neugierig zu sein, hatte sie zufällig einmal die Tür
von Gregors Zimmer aufgemacht und war im Anblick Gregors, der, gänzlich
überrascht, trotzdem ihn niemand jagte, hin und herzulaufen begann, die
Hände im Schoß gefaltet staunend stehen geblieben. Seitdem versäumte sie
nicht, stets flüchtig morgens und abends die Tür ein wenig zu öffnen und zu
Gregor hineinzuschauen. Anfangs rief sie ihn auch zu sich herbei, mit Worten,
die sie wahrscheinlich für freundlich hielt, wie »Komm mal herüber, alter
Mistkäfer!« oder »Seht mal den alten Mistkäfer!« Auf solche Ansprachen
antwortete Gregor mit nichts, sondern blieb unbeweglich auf seinem Platz, als
sei die Tür gar nicht geöffnet worden. Hätte man doch dieser Bedienerin, statt
sie nach ihrer Laune ihn nutzlos stören zu lassen, lieber den Befehl gegeben,
sein Zimmer täglich zu reinigen! Einmal am frühen Morgen – ein heftiger
Regen, vielleicht schon ein Zeichen des kommenden Frühjahrs, schlug an die
Scheiben – war Gregor, als die Bedienerin mit ihren Redensarten wieder
begann, derartig erbittert, daß er, wie zum Angriff, allerdings langsam und
hinfällig, sich gegen sie wendete. Die Bedienerin aber, statt sich zu fürchten,
hob bloß einen in der Nähe der Tür befindlichen Stuhl hoch einpor, und wie
sie mit groß geöffnetem Munde dastand, war ihre Absicht klar, den Mund erst
zu schließen, wenn der Sessel in ihrer Hand auf Gregors Rücken
42
zurück zum
Buch Die Verwandlung"
Die Verwandlung
- Titel
- Die Verwandlung
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1912
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 54
- Schlagwörter
- Erzählung, Schriftsteller, Ungeziefer, Käfer, Insekt
- Kategorien
- Weiteres Belletristik