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Die Schwester begann zu spielen; Vater und Mutter verfolgten, jeder von
seiner Seite, aufmerksam die Bewegungen ihrer Hände. Gregor hatte, von
dem Spiele angezogen, sich ein wenig weiter vorgewagt und war schon mit
dem Kopf im Wohnzimmer. Er wunderte sich kaum darüber, daß er in letzter
Zeit so wenig Rücksicht auf die andern nahm; früher war diese
Rücksichtnahme sein Stolz gewesen. Und dabei hätte er gerade jetzt mehr
Grund gehabt, sich zu verstecken, denn infolge des Staubes, der in seinem
Zimmer überall lag und bei der kleinsten Bewegung umherflog, war auch er
ganz staubbedeckt; Fäden, Haare, Speiseüberreste schleppte er auf seinem
Rücken und an den Seiten mit sich herum; seine Gleichgültigkeit gegen alles
war viel zu groß, als daß er sich, wie früher mehrmals während des Tages, auf
den Rücken gelegt und am Teppich gescheuert hätte. Und trotz dieses
Zustandes hatte er keine Scheu, ein Stück auf dem makellosen Fußboden des
Wohnzimmers vorzurücken.
Allerdings achtete auch niemand auf ihn. Die Familie war gänzlich vom
Violinspiel in Anspruch genommen; die Zimmerherren dagegen, die zunächst,
die Hände in den Hosentaschen, viel zu nahe hinter dem Notenpult der
Schwester sich aufgestellt hatten, so daß sie alle in die Noten hätten sehen
können, was sicher die Schwester stören mußte, zogen sich bald unter
halblauten Gesprächen mit gesenkten Köpfen zum Fenster zurück, wo sie,
vom Vater besorgt beobachtet, auch blieben. Es hatte nun wirklich den
überdeutlichen Anschein, als wären sie in ihrer Annahme, ein schönes oder
unterhaltendes Violinspiel zu hören, enttäuscht, hätten die ganze Vorführung
satt und ließen sich nur aus Höflichkeit noch in ihrer Ruhe stören. Besonders
die Art, wie sie alle aus Nase und Mund den Rauch ihrer Zigarren in die Höhe
bliesen, ließ auf große Nervosität schließen. Und doch spielte die Schwester
so schön. Ihr Gesicht war zur Seite geneigt, prüfend und traurig folgten ihre
Blicke den Notenzeilen. Gregor kroch noch ein Stück vorwärts und hielt den
Kopf eng an den Boden, um möglicherweise ihren Blicken begegnen zu
können. War er ein Tier, da ihn Musik so ergriff ? Ihm war, als zeige sich ihm
der Weg zu der ersehnten unbekannten Nahrung. Er war entschlossen, bis zur
Schwester vorzudringen, sie am Rock zu zupfen und ihr dadurch anzudeuten,
sie möge doch mit ihrer Violine in sein Zimmer kommen, denn niemand
lohnte hier das Spiel so, wie er es lohnen wollte. Er wollte sie nicht mehr aus
seinem Zimmer lassen, wenigstens nicht, solange er lebte; seine
Schreckgestalt sollte ihm zum erstenmal nützlich werden; an allen Türen
seines Zimmers wollte er gleichzeitig sein und den Angreifern
entgegenfauchen; die Schwester aber sollte nicht gezwungen, sondern
freiwillig bei ihm bleiben; sie sollte neben ihm auf dem Kanapee sitzen, das
Ohr zu ihm herunterneigen, und er wollte ihr dann anvertrauen, daß er die
feste Absicht gehabt habe, sie auf das Konservatorium zu schicken, und daß
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Buch Die Verwandlung"
Die Verwandlung
- Titel
- Die Verwandlung
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1912
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 54
- Schlagwörter
- Erzählung, Schriftsteller, Ungeziefer, Käfer, Insekt
- Kategorien
- Weiteres Belletristik