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Finger an den Mund und winkte dann hastig und schweigend den Herren zu,
sie möchten in Gregors Zimmer kommen. Sie kamen auch und standen dann,
die Hände in den Taschen ihrer etwas abgenutzten Röckchen, in dem nun
schon ganz hellen Zimmer um Gregors Leiche herum.
Da öffnete sich die Tür des Schlafzimmers, und Herr Samsa erschien in
seiner Livree an einem Arm seine Frau, am anderen seine Tochter. Alle waren
ein wenig verweint; Grete drückte bisweilen ihr Gesicht an den Arm des
Vaters.
»Verlassen Sie sofort meine Wohnung!« sagte Herr Samsa und zeigte auf
die Tür, ohne die Frauen von sich zu lassen. »Wie meinen Sie das?« sagte der
mittlere der Herren etwas bestürzt und lächelte süßlich. Die zwei anderen
hielten die Hände auf dem Rücken und rieben sie ununterbrochen aneinander,
wie in freudiger Erwartung eines großen Streites, der aber für sie günstig
ausfallen mußte. »Ich meine es genau so, wie ich es sage«, antwortete Herr
Samsa und ging in einer Linie mit seinen zwei Begleiterinnen auf den
Zimmerherrn zu. Dieser stand zuerst still da und sah zu Boden, als ob sich die
Dinge in seinem Kopf zu einer neuen Ordnung zusammenstellten. »Dann
gehen wir also«, sagte er dann und sah zu Herrn Samsa auf, als verlange er in
einer plötzlich ihn überkommenden Demut sogar für diesen Entschluß eine
neue Genehmigung. Herr Samsa nickte ihm bloß mehrmals kurz mit großen
Augen zu. Daraufhin ging der Herr tatsächlich sofort mit langen Schritten ins
Vorzimmer; seine beiden Freunde hatten schon ein Weilchen lang mit ganz
ruhigen Händen aufgehorcht und hüpften ihm jetzt geradezu nach, wie in
Angst, Herr Samsa könnte vor ihnen ins Vorzimmer eintreten und die
Verbindung mit ihrem Führer stören. Im Vorzimmer nahmen alle drei die Hüte
vom Kleiderrechen, zogen ihre Stöcke aus dem Stockbehälter, verbeugten
sich stumm und verließen die Wohnung. In einem, wie sich zeigte, gänzlich
unbegründeten Mißtrauen trat Herr Samsa mit den zwei Frauen auf den
Vorplatz hinaus; an das Geländer gelehnt, sahen sie zu, wie die drei Herren
zwar langsam, aber ständig die lange Treppe hinunterstiegen, in jedem
Stockwerk in einer bestimmten Biegung des Treppenhauses verschwanden
und nach ein paar Augenblicken wieder hervorkamen; je tiefer sie gelangten,
desto mehr verlor sich das Interesse der Familie Samsa für sie, und als ihnen
entgegen und dann hoch über sie hinweg ein Fleischergeselle mit der Trage
auf dem Kopf in stolzer Haltung heraufstieg, verließ bald Herr Samsa mit den
Frauen das Geländer, und alle kehrten, wie erleichtert, in ihre Wohnung
zurück.
Sie beschlossen, den heutigen Tag zum Ausruhen und Spazierengehen zu
verwenden; sie hatten diese Arbeitsunterbrechung nicht nur verdient, sie
brauchten sie sogar unbedingt. Und so setzten sie sich zum Tisch und
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Buch Die Verwandlung"
Die Verwandlung
- Titel
- Die Verwandlung
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1912
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 54
- Schlagwörter
- Erzählung, Schriftsteller, Ungeziefer, Käfer, Insekt
- Kategorien
- Weiteres Belletristik