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Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
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griechischen Säule; sie bleibt dem Auge unmerklich und kommt blos der Uölligkeit und Regelmäßigkeit des ganzen Helmprostles zu statten. V ie Spitze des Helmes laust über einer nochmaligen Simsverkröpfung in eine zweifache, aus Glattwerk gebildete Kreuzblume aus, die am StempetnuZgnnge mit einer bronzenen Knospe gedeckt ist. In diesem Mctallknopse hält eine Schraubenmutter die eiserne Helmstnnge fest, welche den Zweck hat, die obersten Iteinlngen zu belasten und so zu festigen. Diese massiue Helmstange hängt durch eine röhrenförmige Aushöhlung der Thurmspitze herab, reicht aber nur bis etwa in die halbe Höhe des Helmes. Dort wird sie an ihrem unteren Ende von vier eisernen Gändern ersaßt, welche in den untersten Schichten des Helmes verankert und mittelst vier übersetzter Hebelgewichte gespannt und belastet sind. Durch diese sinnige Uorrichtung übt die Helmstange einen gewaltigen Druck auf die obersten Schichten der Thurmspitze, ohne bei dem, in solcher Höhe unvermeidlichen Windanfnlle in irgend eine Schwingung oder Erschütterung zu gerathen, die dem Gestände des Thurmbnues verderblich werden müßte. Die ganze Thurmhühe vom Terrassenpflnster bis zur Knospe der Kreuzblume mißt 80°, 2', 10". Und so bilden denn die Thürme der Uotivkirche mit ihren gewaltigen Massen unten, und mit ihrem luftigen Ausblühen nach oben, gleichsam als zwei riesige Strebepfeiler und Nialen, den Widerhalt und die Krone für das ganze wohlgesugte System eines Qauwcrkes, das ein Symbol des aus festem Gottuertrnuen sich erhebenden Gebetes sein soll. Steinerne Treppen mit dem Zugänge von außen führen in den Thürmen bis in die Höhe des Dachgiebels; von da an steigen eiserne Wendeltreppen durch das Vctogon bis zum Thurmplatenu, d. i. bis zum Geginne der Helme empor. Weiter hinauf sind die Thürme nur noch vermittelst eiserner, in Kloben einzuhängender Leitern zu besteigen. Außer diesen beiden Thurmstiegen dienen vier aus dem Inneren zugängliche, in freiliegende Schnecken auslaufcnde Wendeltreppen an den Strebepfeilern der Kreuzschiff-Incaden zur Üesteigung des Hochschilf-Daches. Zwei Treppen führen ferner von innen auf den Musikchor und zur ersten Jacadengnlerie, und zwei endlich, wie bereits erwähnt, aus den Einbauten am Ehore m der Empore desselben; es sind natürlich sämmtlich Wendeltreppen. Die Kirche steht auf einer weiten, kräftig erhöhten Terrasse, welche an der vorderen Incnde einen Vorfprung von Z Klaftern, an den übrigen Seiten den von durchschnittlich 3 Klaftern hat. Dieser Terrnssenbau ist bestimmt, das Gauwerk von dem äußeren, nach vorne abfallenden Terrain wirksam zu isoliren und demselben durch Anbringung der erforderlichen Itufenreihe ein erhöhtes Ansehen zu verleihen. Derselbe erhebt sich an der Vorderseite um drei, an der nördlichen um zwei, an der südlichen um einen Nnndstcin über das Niveau des Terrains; und zivar sind es mächtige Nandstufen von einem Schuh Höhe, denen nur an den Stellen, wo der Zugang zu den Portalen stattfindet, noch Trittstufen vorgelegt sind, so daß sich deren an der Hnuptfncnde sechs ergeben. Die Grenzen der ganzen Terrasse umfassen eine bedeckte Näche von 1546 Ouadratklaftern. Uicht minder beachtensmerth als die artistischen und formalen Vualitäten der Uotivkirche sind die constructiven und technischen Leistungen an derselben. Wenn jene offen zu Tage liegen und aus dem vollendeten imposanten Gauwerke so zu sagen von selbst sprechen, sind diese dem Auge verborgen und gehören insoserne der Geschichte an. Anderseits aber sind sie wieder die Gürgschaft für die gesicherte Zukunft des Gaues; und sie ftehen mit dessen ästhetischen Wirkungen in so innigem Zusammenhange, daß eine Geschreibung desselben ohne eingehende Gerücksichtigung seiner materiellen und technischen Grundlagen unvollständig genannt werden müßte. Namentlich der Laie ist leicht geneigt, die Gcdeutung der Construction und das Verdienst des Künstlers in dieser N'ichtung zu unterschätzen; und doch fällt beides gerade bei einem gothischen Kirchenbaue gar schwer in's Gewicht, theils wegen der strengen und schwierigen Anforderungen, welche das System an die Statik stellt, theils weil der moderne Architekt sich in der Lösung technischer Urngen nicht, wie in der Jormensprache, bei den alten Mustern Nathes erholen kann. Er ist vielmehr bei dem Abbrüche aller Tradition und bei den vielfach veränderten Gedingungen unseres industriellen Lebens genöthigt, neue Mittel zur Erreichung der gegebenen Zwecke zu finden oder es doch mit der neuen Anwendung vorhandener Mittel zu versuchen. Der Gau der Votivkirche ist nun reich an solchen Erfindungen und Versuchen, so daß wohl auch der Sachverständige dem folgenden Gerichte über die Technik und Eonstruction des Gaues gerne einige Aufmerksamkeit schenken wird. 22
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Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
Titel
Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
Autor
Moriz Thausing
Verlag
Verlag von R. v. Waldheim
Ort
Wien
Datum
1879
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
25.0 x 33.2 cm
Seiten
148
Schlagwörter
Kirche, Kunstgeschichte, Architektur
Kategorien
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