Seite - 30 - in Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
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Die Uatwkirche, welche in ihren architektonischen Verhältnissen und Normen so glücklich an die mittelalterliche
Tradition anknüpft, bleibt auch in Gczug ans plnslische und malerische Verzierung nicht hinter deren Anforderungen
zurück. In, als die Schöpfung eines denkenden Künstlers, dem es, wie nur so wenigen, vergönnt war, feinem großen
Werke von dem ersten Entwnrse bis znr völligen Vollendung vorzustehen, zeigt die Votivkirche sowohl im Stilchnrnktcr,
wie im ideellen Inhalte ihres Qilderschmuckcs eine seltene Einheitlichkeit und Eonsequenz. Qics gilt namentlich von den
Sculpturen der Außenseite, welche mit der architektonischen Gliederung des Üauwerkes im innigsten Zusammen-
hange stehen, ja sozusagen einen intcgrirenden Bestandtheil derselben bilden. Entsprechend der Veranlassung zu dem
Onue, seiner Weihe als Saluatorkirchc und der vorwiegenden Qedcutung des Erlösungswcrkes im christlichen Glaubens-
begriffe überhaupt, nimmt das Werk der zweiten göttlichen Person, die keüemptio, den weitaus vornehmsten und
umfassendsten Uaum in der plastischen Ausschmückung des Aeußercn ein, nämlich den Portalbau der Hnuptfacade;
während das Werk der ersten und dritten Person in der Gottheit, die Schöpfung lci-eatio» nud die Heiligung (sancti-
, auf die verhältnißmäßig einfachen Eingangshallen des Krcuzschiffes beschränkt bleibt.
n dem Mittclportnle der Hnuptsacade, uud zwar an dessen mittelstcm Pfosten, der die Eingangsöffnung
spaltet, begegnet uns als Titelbild der ganzen Kirche der segnende Heiland von Joseph Gasser, in der Linken die Welt-
kugel haltend und mit der Uechten segnend, eine ideale Gestalt, nnfgefnßt nach den an den Apostel Thomas gerichteten
Worten Jesu beim Evangelisten Johannes im 14. Capitel 6. Vers: „N^o suni via, veriw8 er viw: Ich bin der
Weg, die Wahrheit und das Leben; Niemand kommt znm Vater, denn durch mich." In gleicher Höhe wie das Ehristus-
bild stehen beiderseits in der PortnIIeibung die typischen Vorbilder Ehristi aus dem alten Testamente, und zwar links die
Opfertypen: Abel, Nonh, Melchisedek und Isnak; diesen gegenüber rechts die altherkömmlich als dessen Vorläufer
aufgefaßten Gestalten von Johannes dem Täufer, Snmfon, Aaron und Moses, sämmtlich von I. Genk. Veber diesen
Jiguren und oberhalb des Thürsturzes erscheint eine Ncihc von dreizehn Nischen, von denen die mittclste über dem
Inlvator einen Enget mit dem Guche des Lebens in der Hand, die anderen die Standbilder der zwölf Apostel enthalten.
Sie find von Gberegger unter Geihilfc Gaffers ausgeführt. Das Tympanon des Hauptportnlcs füllen drei stäche lleliefs
von I. Gaffer, darstellend die drei Hnuptmomente im Leben Iefu: Anfang, Hühepnnkt und Ende. Sie find so angeordnet,
daß links unten Christi Geburt, rechts daneben die Bergpredigt und über beiden in der Spitze des üogens der Kreuzes-
tod erscheint.
«3'ür die Tympanc der beiden Nebcnportntc zu beiden Seiten ergibt sich dann ganz folgerichtig ein dem Leben
Jesu vorangehender und ein demselben nachfolgender Moment; an dem zur Linken des Gefchauers die Verkündigung
Marine, an dem zur Rechten die Auferstehung Christi; beide 1-ielicss ebenfalls von Gaffer. An der Leibung des linken
Ieitenportalcs unterhalb der Verkündigung find dann die Statuen der vier Propheten angebracht, welche die Geburt
Ehristi vorhcruerkündet haben, nämlich Jercmias, Jelains, David nnd Michäas, ausgeführt von A. Lchmidtgruber.
Unterhalb der Auferstehung an der äeitenpforte zur Uechtcn stehen ebenso vier Heilige, als Nirbittcr am Tage der
allgemeinen Auferstehung gedacht, und zwar find, entsprechend der Oedeutung der Kirche als Stiftung der kaiserlichen
Unmilic, die Schutzpatrone der Majestäten, der Mutter des Kaisers und seines Qruders, des Stifters, gewählt:
IS. Iranciscus von Afsifi, Elisabeth, Sophia nnd Marimilian. Die Statuen sind das Werk von Peter Knftlunger.
^.uch die höher gelegenen Theile des Portalbnues find reich mit Sculptureu geschmückt. Zunächst begegnet der
Glick in der Spitze des hohen Wimperges, welcher das Hauptportnl krönt, der heiligen Dreifalt igkeit von I. Gasser.
Die Gruppe ist in der nltdentfchen Weife aufgefaßt: Gott Unter mit der Krone auf dem Hanptc hält den Leichnam des
Gekreuzigten vor seinen Knieen empor und blickt in tiefer Nührung auf denfelben herab. Zwei Engel halten zur
Seite die Mantelenden zurück und eine verkürzte Engelsgestalt trägt die Eonsole unter der Gruppe, über welcher der
heilige Geist in Tnubengestalt vor einer goldenen Itrahlenglorie schwebt. Zu beiden Seiten dieses mittleren Spitzgiebels
läuft eine ganze Uigurengalerie quer über die Uacade hin. Sie enthält die Standbilder der vier Evangelisten und der
österreichischen Lnndespatrone und zwar stehen die ersteren, ansgeführt von Uranz Melnitzky, unter den Gilderdächern
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Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Titel
- Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Autor
- Moriz Thausing
- Verlag
- Verlag von R. v. Waldheim
- Ort
- Wien
- Datum
- 1879
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 25.0 x 33.2 cm
- Seiten
- 148
- Schlagwörter
- Kirche, Kunstgeschichte, Architektur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918