Seite - 64 - in Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
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das Qaucomite die Vorschläge über die Art der Steingcwinnung genehmigt hatte, wurden Verträge mit
einigen Steinlieternnten abgeschlossen und, obwohl die Gauleitung auf diese neu eröffneten Grüche vorgemerkt war,
wurden doch auch solche Grüche eröffnet, welche die Gauleitung blos zur Wahrung ihrer Interessen für sich gepachtet hatte,
um von den Lieferanten unabhängig und für den NnII, als dieselben ihren Vertragsverbindlichkeiten nicht nachkämen, in
der Jortsetzung des Gaues nicht behindert zu sein. Auf diese Weife gelang es, ganz vorzügliche harte Steine in genügender
Menge dem Gaue zu sichern, und zwar leisteten dies in erster Reihe eine beträchtliche Zahl von Steinbrüchen bei Nischau,
Grünn am Hteinteldc und in Wüllersdorf und in zweiter Reihe Steinbrüche im Leithagebirge bei Mühlendorf und Oszlop.
Hier muß noch einer eben so seltenen als kostbaren Steingattuug erwähnt werden, welche der Gauleitung zur Verfügung
stand. Es sind dies die schon im ersten Capitel dieser Schrift angeführten 123 Glocke ägyptischen Marmors oder
Alabasters, welche der Vicekünig Said Pascha durch Vermittelung des Domherrn von Großwardein, Abt Mislin
dem Gaue der Votivkirche gespendet hat. Die Steine langten am 31. October 1863 in Wien an und umfaßten ein
Ausmaß von 1716 Kubikfchuh. Es war dabei unter Anderem der Zwifchensall pafsirt, daß die erste Eonfulatsnote über
die Spende aus Kairo vom Z. November 1662 blos von „23 dloc» ä'liidäv'6" gesprochen hatte — vermuthlich ein
Schreibfehler, wenn nicht Schreiberwcisheit. Es fehlte dann nicht an mehr und minder angenehmen Keberraschungen,
als sich das Geschenk nllmälig in seiner ganzen Größe und Schwere zu erkennen gab. Der überaus harte und prächtige,
weiß und gelb gewölkle Stein wurde, wie an den betreffenden Stellen erwähnt, zur Herstellung der inneren Kircheneinrichtung
reichlich verwendet, als zu den Altären, der Kanzel, dem Taufbecken, den Weihwafferbecken und den Vittersassungen.
^>n der Stein benrbeitung, wie in der Manipulation der Stein Versetzung hat sich batd eine solche Präcision und
Routine in der Gauhüttc herausgebildet, daß die an den versetzten Steinen noch nöthigen Nacharbeiten nur äußerst
geringfügig waren und daß dieselben endlich bei den Thurmhelmen völlig entfallen konnten. Es besteht allerdings an
vielen Orten die Uebung, den nur in seine Hauptformen gebrachten Stein gleich zu versetzen und ihn erst am Vrte seiner
Gestimmung ganz fertig zu arbeiten. Die antiken Marmorbautcn wurden bekanntlich alle in dieser Weise ausgeführt und
sie ist heutzutage beispielsweise in Irankreich allgemein üblich. Das Zusnmmenschleifen der Jugen und die erforderliche
Präcision der durchlaufenden Linien rechtfertigen auch dieses Verfahren. Die Natur des gothischen Ztcinbaues aber schließt
dasselbe vollständig aus uud verlangt vielmehr die Versetzung vollkommen bearbeiteter, auch in den Ornamenten
vollendeter Werkstücke.
Das bedingt jedoch die genaueste Ausführung und die peinlichste Sorgfalt in Gerechnung und Anwendung des
Stcinschnittes. In dieser Hinsicht mag die Votivkirche wohl ein Musterbau genannt werden, welcher jeden Vergleich mit
der Technik von Denkmälern des Mittelalters bestehen kann. EZ war die Aufgabe der Poliere, die Schablonen aus
Metallblech anzufertigen, und die Herstellung dieser sämmtlichen Profilfchablonen wurde mit einer solchen Gewissenhaftigkeit
durchgeführt, daß sie mit der in den Werkhütten fortwährend geübten strengsten Aussicht stets im Einklänge stand. Harte
Geldstrafen waren auf jede mangelhafte Leistung gesetzt und diese Pünale wurden auch rücksichtslos eingehoben. Es entstand
denn auch alsbald unter den Arbeitern ein reger Wetteifer in gediegener Arbeit, wie er nicht leicht in einer anderen
Werkhütte angetroffen werden dürfte; denn mährend in der Regel das Ziel der Concurrenz in der möglichst großen
Arbeitsmenge besteht, welche dann dem Arbeiter zu gute kommt, gab bei der Entlohnung in der Gauhütte der Votivkirche
immer uur die Vütc des Geleisteten den Ausschlng. Auch die Technik der Steinbenrbcitung war eine rationellere als
die sonst bei uns geübte. Als Werkzeuge dienten nur der Meißel, die Gille, der Geckhammer und das Charrireisen,
während der Ztockhammer, der die Structur des Steines angreift, seine Oberstäche zerstört und einem ungünstigen
Verwitterungsprocesse derfelben Vorschub leistet, nur für die Gcarbeitung der Lngerflächen Anwendung fand.
H u m Zwecke der Iteinverfetzung wurden einfache, aber sinnreich construirte Gerüstungen aufgeführt. Gis zur Höhe
der Seitenschiffe aus in die Erde eingerammten Rüststämmen ruhend, wurden die Gerüste von der Heitenschiffhöhe nach
aufwärts auf den Iteinbau selbst gesetzt und durch stellenweise in demselben stehen gebliebene, erst später abgearbeitete
Stcinbossen unterstützt. Die Gerüste wurden immer nur für den jeweiligen Gedars aufgestellt und mit dem Fortschreiten
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Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Titel
- Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Autor
- Moriz Thausing
- Verlag
- Verlag von R. v. Waldheim
- Ort
- Wien
- Datum
- 1879
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 25.0 x 33.2 cm
- Seiten
- 148
- Schlagwörter
- Kirche, Kunstgeschichte, Architektur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918